Mit der Coronakrise haben Bildungsinstitutionen einen Digitalisierungsschub erlebt. Doch wird der Online-Unterricht auch in Zukunft Schule machen? Wie eine Umfrage der Studentenschaft der Universität St. Gallen zeigt, stellt ein Grossteil der Studierenden dem rein digitalen Setting kein besonders gutes Zeugnis aus. Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich, welche Online-Formate den Unterricht bereichern können und welche Formen des Präsenzunterrichts künftig nicht mehr gewünscht sind.
«Bildung kommt von Bildschirm und nicht von Buch, sonst hiesse es ja Buchung.» Dieses Zitat des deutschen Kabarettisten Dieter Hildebrandt hat mit der Coronakrise eine neue Bedeutung bekommen. So war der Computer über Monate das einzige Fenster zur Welt des Lehrens und Lernens. Der Digitalisierungstrend hat dadurch nochmals einen massiven Schub erlebt. Heute zeigt sich: zumindest aus technischer Sicht ist ein ortsunabhängiger Unterricht problemlos möglich. Jedoch stellt sich die Frage, ob die digitale Schule ein Zukunftsmodell ist.
Jacqueline Gasser-Beck leitet das Teaching Innovation Lab an der Universität St. Gallen. Für sie gibt es keine einfache Antwort darauf, ob Online-Unterricht Fluch oder Segen ist. Ihre Institution war technisch sehr gut auf die neue Situation vorbereit. Dennoch seien die Erfahrungen mit dem digitalen Lernsetting nicht nur positiv ausgefallen, wie Umfragen gezeigt hätten. «Die Dozierenden mussten viel mehr um die Aufmerksamkeit der Studierenden kämpfen und hatten teils Mühe, eine persönliche Verbindung zu diesen herzustellen», so Jacqueline Gasser-Beck.
Auch eine Mehrheit der Studierenden habe dem Online-Unterricht eher schlechte Noten erteilt. «Insbesondere jene im ersten Studienjahr, die viel Orientierung und soziale Kontakte benötigen, fühlten sich verloren.» Handkehrum hätten einige Studierende den digitalen Unterricht effizienter erlebt als den Präsenzunterricht, sagt sie. «Wie man aus pädagogischen Untersuchungen weiss, profitieren vor allem sehr gute Schülerinnen und Schüler respektive Studierende vom Onlinesetting, weil diese sehr selbstorganisiert lernen.»
Hybrid ist anspruchsvoll
Während an der Uni St. Gallen früher 98 Prozent der Lehrveranstaltungen im Präsenzmodus stattfanden, setzte man im Zuge der Pandemie vermehrt auch auf Hybridunterricht. Ein Teil der Studierenden sass dabei im Hörsaal, ein Teil daheim. «Für die Dozierenden war das sehr schwierig, weil sie nicht beiden Gruppen gleichzeitig gerecht werden konnten», sagt Jacqueline Gasser-Beck. «Dieses Format funktioniert nur dann, wenn man über eine perfekte technische Ausrüstung verfügt und im Hintergrund im Idealfall eine Regie hat, die auf die Person zoomen kann, die gerade spricht.» Das sei jedoch sehr aufwendig und teuer. Die Leiterin des Teaching Innovation Labs glaubt deshalb nicht, dass der Hybridunterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen Schule machen wird.
Die Studierenden haben es geschätzt, dass der hybride Unterricht jeweils aufgezeichnet worden ist und damit ein flexibles Nachbearbeiten der Lerninhalte möglich wurde.
Jacqueline Gasser-Beck
Auch für die Studierenden war das hybride Setting anspruchsvoll, da sie ständig zwischen verschiedenen Veranstaltungsformen wechseln mussten. «Wie die Umfrage zeigte, haben sie dabei allerdings nicht schlechter gelernt und auch keine schlechteren Prüfungen geschrieben», sagt Jacqueline Gasser-Beck. «Zudem wurde es geschätzt, dass der hybride Unterricht jeweils aufgezeichnet worden ist und damit ein flexibles Nachbearbeiten der Lerninhalte möglich wurde.»
Lernplattform hat Aufwind erhalten
Als erfreuliche Entwicklung betrachtet Jacqueline Gasser-Beck die Tatsache, dass während der Pandemie nebst Videokonferenz-Programmen auch sämtliche anderen Online-Tools aus der bereits zuvor implementierten Lernplattform Canvas intensiver und besser genutzt worden sind. «Das spielte uns sehr in die Hände», sagt Jacqueline Gasser-Beck. Denn die Lernplattform erlaube es, Unterrichtsunterlagen für das Blended Learning optimal vorzubereiten. So war es beispielsweise möglich, dass die Studentinnen und Studenten orts- und zeitunabhängig einen Text lesen oder sich ein Lernvideo anschauen konnten und dafür nicht präsent sein mussten. Die Präsenzzeit konnte dann wiederum effektiver für Diskussionen oder Fallbearbeitungen genutzt werden.
Datenschutz als Spannungsfeld
In der Umfrage wurden die Studierenden auch dazu befragt, wie sie die Universität der Zukunft sehen. Unter anderem zeigte sich, dass grosse Veranstaltungen vor Ort nicht mehr gewünscht sind. «Kommen 1200 Studierende zu einer Vorlesung an der Uni zusammen, gibt es normalerweise kaum Interaktion», sagt Jacqueline Gasser-Beck. «Treffen sich diese online, kann man mithilfe von Breakout Sessions kleine Gruppen bilden und einen viel besseren Austausch erwirken.» Sie glaubt deshalb: «Massenveranstaltungen ohne Interaktion kommen unter Druck».
Sehr geschätzt haben die Studierenden auch, dass sie Lerninhalte mittels eines Online-Tools selbst erarbeiten und auch überprüfen konnten. «Solche Formate wünschen sie sich noch viel mehr», sagt Jacqueline Gasser-Beck. Die grösste Forderung der Studierenden sei jedoch, dass alle Veranstaltungen auf Video aufgezeichnet werden und man diese somit jederzeit nachschauen könne. Genau hier sieht die Leiterin des Teaching Innovation Labs aber auch eine Schwierigkeit. Einerseits, weil dies bei Dozierenden nicht nur Begeisterung auslösen könnte, anderseits aus Gründen des Datenschutzes. Überhaupt stelle der Datenschutz im Zusammenhang mit Online-Unterricht ein riesiges Spannungsfeld dar.
Learning Center ist auf Präsenz ausgerichtet
Wie will die Uni St. Gallen die Zukunft gestalten? Derzeit befindet sich das «HSG Learning Center» im Bau, eine innovative Denk- und Arbeitsstätte, die eine neue Art des Lernens ermöglichen soll. «Die Idee ist, die Kreation, die Kollaboration und den Austausch zu fördern», sagt Jacqueline Gasser-Beck. «Das Learning Center wird zwar digital angereichert sein, ist aber insgesamt sehr auf Präsenz ausgerichtet», ergänzt sie. «Im Zentrum stehen die persönliche Interaktion, das Erleben und das Gestalten.» Online-Kurse wird es aber auch weiterhin geben. Zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Partneruniversitäten aus aller Welt.
Während der Pandemie hat sich gemäss Jacqueline Gasser-Beck das «Gamification in Learning» als grosser Trend herauskristallisiert. Dabei werden Lerninhalte mit Online-Tools spielerisch erarbeitet und die Lernaktivitäten und Lernerfolge können optimal analysiert werden. «Gamification hat bei uns sehr gut funktioniert», sagt sie. «In diesem Bereich wird es sicher noch eine Weiterentwicklung geben.»
Zur Person
Jacqueline Gasser-Beck leitet das Teaching Innovation Lab an der Universität St.Gallen. Nebenbei unterrichtet sie im Zertifikatslehrgang (CAS) Digital Public Services and Communication an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Dieser Lehrgang vermittelt Grundlagen und praxisorientiertes Fachwissen rund um die digitale Kommunikation und die Entwicklung von Online-Services im öffentlichen Sektor.
Dieser Blogbeitrag basiert auf dem Online-Gespräch «Zukunftsmodell digitale Schulen?», das im Rahmen der Gesprächsreihe «Neue Öffentlichkeit» stattfand.