Onlineberatungen: Wenn der Bildschirm Nähe schafft

22. September 2021

Die Corona-Pandemie hat den Berufsalltag der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter verändert. Digitale Beratungen sind derzeit ein aktuelles Thema in ihrem Arbeitsfeld. Die Face-to-Face-Gespräche sollen damit aber nicht ersetzt werden. Dank Onlineberatungen könnten noch mehr Menschen erreicht werden, sagt Barbara Wüthrich, Beraterin bei Pro Juventute Schweiz.

Von Marion Loher

Während des Lockdowns und der Schulschliessungen zu Beginn der Corona-Pandemie fanden viele Beratungen der Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter online statt. Noch heute werden wegen der Quarantäne-Situationen in den Schulen und der Homeoffice-Pflicht einiger Arbeitgeber viele Gespräche digital geführt. Die physische Distanz zwischen Beratenden und Klientinnen und Klienten ist nach wie vor ein grosses Thema unter den Fachpersonen. Trotzdem sollen die Onlineberatungen die analogen Gespräche nicht ersetzen, sondern ergänzen. «Es ist wichtig, dass die beiden Beratungsformate nicht gegeneinander ausgespielt werden», sagt Barbara Wüthrich, die seit 2013 bei Pro Juventute Beratung tätig ist und an der Berner Fachhochschule zum Thema Onlineberatung doziert. Ziel ist, dass möglichst viele Menschen Zugang zur Beratung haben, und hier sieht Barbara Wüthrich mit den Online-Kanälen eine grosse Chance, da sie diesbezüglich viel Potenzial bieten.

Barbara Wüthrich, Pro Juventute Beratung

Als Gewinn nennt die Expertin zum Beispiel das sogenannten Blended Counseling, das die gezielte Kombination der alten und neuen Kommunikationskanäle bedeutet. So kann eine Kontaktaufnahme über schriftliche Kanäle wie Chat oder Mail den Einstieg in eine Face-to-Face-Beratung gerade für Jugendliche erleichtern. «Möglich ist auch, dass zwischen den virtuellen Beratungen und jenen vor Ort abgewechselt wird», sagt Wüthrich. Als besonders wirksam, um erarbeitete Inhalte zu verfestigen, habe sich auch der mediale Abschluss einer intensiven Beratungszeit gezeigt. Dies könne beispielsweise eine Mail sein, die nach einer gewissen Zeit und in regelmässigen Abständen an die Klientinnen und Klienten verschickt werde.

Je weniger Hürden, desto besser

Die zentralen Merkmale der Onlineberatungen, die unter anderem über SMS, Mail, Messenger, WhatsApp, Chat, Internet-Telefonie, Sprachnachrichten und Video-Konferenz stattfinden können, sind die Ortsunabhängigkeit, die zeitliche Dimension (asynchron, quasisynchron und synchron) und der reduzierte Informationsfluss. Gerade Letzteres könne für junge Menschen ein Vorteil sein, so Barbara Wüthrich, da es für sie einfacher sei, sich schriftlich auszudrücken, als sich physisch zu zeigen. «Durch diese räumliche Distanz fällt es vielen leichter, sich zu öffnen. So ist man während einer Chat-Beratung oft viel schneller direkt im Thema drin.» All diese Merkmale führen zu einer Niederschwelligkeit, die das Angebot der Onlineberatungen ausmachten: Eine Anreise ist nicht nötig, die Öffnungszeiten fallen weg und die Scham, sich mit einem Problem oder Anliegen zu offenbaren, ist gerade beim reduzierten Informationsfluss weniger gross. «Selbstverständlich können auch neue Hürden hinzukommen», sagt die Expertin. «Bei Kindern kann es das Technische sein, wenn sie über kein eigenes Gerät verfügen, oder eine fehlende Schreib- und Lesekompetenz.»

«Durch die räumliche Distanz fällt es vielen leichter, sich zu öffnen. So ist man während einer Chat-Beratung oft viel schneller direkt im Thema drin.»

Barbara Wüthrich, Pro Juventute Beratung

Ein wichtiges Thema bei den digitalen Beratungsmöglichkeiten ist auch der Datenschutz. Hierfür müsse mit dem jeweiligen Arbeitgeber abgeklärt werden, welche Priorisierung man verfolgen wolle.  Die Beratung sollte immer sicher sein, der Zugang aber auch einfach genug, um die Zielgruppe zu erreichen. «Wenn man auf grösstmögliche Sicherheit setzen möchte, wird es oftmals kompliziert und die Hürden werden höher, was Jugendliche eher davon abhält, sich zu melden.» Die Verantwortung für den Datenschutz liegt beim Anbieter, der in Form eines «informed consent» die Benutzerinnen und Benutzer bezüglich Sicherheit informieren muss. Elementar ist, Personendaten und Inhalte getrennt voneinander zu speichern, beispielsweise bei Chat-Protokollen.

Boom in Corona-Zeiten

Ein Kanal, der enorm an Bedeutung gewonnen, hat ist die Video-Konferenz. Sie hat vor allem im Corona-Jahr einen regelrechten Boom erlebt, da sie das Tool sein dürfte, das am nächsten an eine Face-to-Face-Situation herankommt. Und gerade deshalb ist es für Barbara Wüthrich von grosser Bedeutung, dass bei einer Video-Konferenz verschiedene Aspekte beachtet werden. «Wie bei der Beratung vor Ort sollte man sich auch hier Zeit fürs Ankommen nehmen», sagt sie und fügt an: «Den Smalltalk zu Beginn nicht zu vernachlässigen, hilft beim Beziehungsaufbau – genauso wie der Einbezug von situativen äusseren Reizen.» Zudem sollte beachtet werden, dass bei Beratungen mit mehreren Menschen die entsprechende Person direkt angesprochen wird. Weiter brauche es regelmässige Pausen, da das Setting anstrengender sei als wenn man sich vor Ort treffe. «Wichtig ist auch, die Technik vor Beginn zu überprüfen und einen ruhigen Arbeitsplatz zu wählen.» Ausserdem könne die Onlineberatung mit verschiedenen digitalen Tools bereichert werden. Allerdings, betont Barbara Wüthrich, müsse das Angebot zu den Beratenden und den Klientinnen und Klienten passen. «Virtuell gibt es so viele Möglichkeiten, da kann man schnell den Überblick verlieren. Aber manchmal ist weniger auch mehr.»

Rund um die Uhr für Kinder und Jugendliche da
Die Nummer 147 von Pro Juventute ist die offizielle Schweizer Childhelpline. Seit 1999 ist sie rund um die Uhr für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre da, kostenlos und vertraulich. Über Telefon, Chat, SMS-Nachricht oder E-Mail können die jungen Menschen Kontakt mit den Beraterinnen und Beratern aufnehmen. Diese unterstützen die Kinder und Jugendlichen bei ihren kleinen und grossen Sorgen, Problemen oder Fragen. Die Pro Juventute-Beratung ist eine niederschwellige Erstberatung. Entsprechend dem systemischen Gedanken werden nebst Kindern und Jugendlichen auch deren Eltern und familiäre Bezugspersonen nach dem lösungsorientierten Ansatz beraten (Pro Juventute Elternberatung) sowie Bezugspersonen aus organisierter Freizeit, Schule, Jugendarbeit, etc. (Pro Juventute Jugendleiterberatung).

Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Community-Anlass Schulsozialarbeit, der zum Thema «Beratung zwischen analog und digital – was braucht und kann die Schulsozialarbeit?» stattfand.