Die Mechatronik ist aus der Produktherstellung kaum mehr wegzudenken. Sei es im Bereich der Automobiltechnik oder im chemischen Anlagenbau. Aber auch in der Medizintechnik wächst die Bedeutung dieser jungen Disziplin stark. Prof. Günter Nagel, Studienleiter des M. Eng. in Mechatronik und des MAS in Mechatronik, spricht im Interview über Operationsroboter, das Potenzial zur Miniaturisierung und die Nachfrage nach Fachkräften.
Welche Rolle spielt die Mechatronik in der Medizintechnik?
Die Bedeutung der Mechatronik in der Medizintechnik ist bereits heute sehr hoch und sie wird weiter stark wachsen. Mechatronische Systeme ermöglichen in medizintechnischen Geräten neue Funktionen oder Anwendungen. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist der tragbare Textilsensor zum Schutz vor Druckgeschwüren, den die OST zusammen mit verschiedenen Partnern entwickelt. Ziel ist es, damit die Durchblutung von menschlichem Gewebe und den darauf wirkenden Druck zu messen, um Druckgeschwüren vorzubeugen. Zusätzlich spielt die Mechatronik auch eine sehr grosse Rolle bei der Fertigung und Produktion medizintechnischer Geräte. Denn dank Automation und Robotik – beides Teilgebiete der Mechatronik – lassen sich Herstellungsprozesse effizienter gestalten und Kosten einsparen. Dies erlaubt es, medizintechnische Geräte in der Schweiz zu produzieren und die Wertschöpfung im eigenen Land zu generieren.

In welchen medizintechnischen Geräten sind mechatronische Systeme Bestandteil?
Mechatronische Systeme kommen in unzähligen medizintechnischen Geräten zum Einsatz. Beispielsweise in Beatmungsgeräten, die sich während der Coronapandemie als eminent wichtig erwiesen haben. Aber auch Insulinpumpen, Herzschrittmacher und Defibrillatoren enthalten entsprechend Komponenten. Weitere Beispiele sind Fortbewegungshilfsmittel wie Exoskelette – das MedTech Lab der OST in Rapperswil hat ein solches entwickelt – oder angetriebene und geländegängige Rollstühle. Immer mehr zum Thema werden zudem Operationsroboter. Dazu gehört etwa der «Da-Vinci-Roboter», der bei Eingriffen im Bereich der Urologie wichtige Aufgaben übernimmt.
Inwiefern hat die OST Erfahrung mit der Entwicklung solcher Operationsroboter?
Vor einigen Jahren hat ein Absolvent unseres MAS in Mechatronik im Rahmen seiner Masterarbeit zur Entstehung eines Operationsroboters beigetragen, mit dessen Hilfe schwerhörigen oder gehörlosen Menschen Cochlea-Implantate eingesetzt werden. Der Roboter meistert heikle Bohrarbeiten an der lateralen Schädelbasis mit einer sehr hohen Genauigkeit. Auch bei der Entwicklung des Medizinroboters Neurologischer Gangtrainier war unsere Fachhochschule beteiligt.
Auch Prothesen sind mittlerweile Hightech-Konstruktionen. Welche Möglichkeiten bietet die Mechatronik auf diesem Gebiet?
Die Mechatronik ist ein Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik, Sensorik und Aktorik. Dadurch ergeben sich unzählige Chancen für die Prothesenentwicklung. Konkret zeigt sich das zum Beispiel beim Exoskelett sowie bei Bein- und Armprothesen. Durch den Einbau mechatronischer Systeme gelingt es ausserdem, Prothesen leichter und damit energieeffizienter zu gestalten. Und nicht zuletzt sind durch Elektronik und Sensorik auch Funktionen wie das Fühlen, Sehen und Hören möglich.
In welchen Bereichen der Medizintechnik ist das Potenzial mechatronischer Systeme noch nicht ausgeschöpft?
Luft nach oben besteht hauptsächlich in den Bereichen Miniaturisierung und Energieeffizienz. Bei der Miniaturisierung geht es darum, medizintechnische Geräte kleiner, leichter und mobiler zu machen. Zum Beispiel eine Insulinpumpe, die den ganzen Tag am Körper getragen wird. Je leichter und kleiner etwas ist, desto energieeffizienter ist es auch. Diese Energieeffizienz ist wiederum wichtig, um die Laufzeit der Batterie zu verlängern.
Welche Herausforderungen bringt der Einsatz von Mechatronik in der Medizintechnik mit sich?
Die Entwicklung mechatronischer Systeme erfordert ein umfangreiches Fachwissen. Zusätzlich braucht es einen Überblick über die Vorschriften im Bereich der Medizintechnik. Für solche Fragen haben Firmen aber meist Spezialistinnen und Spezialisten.
Wie gefragt sind Mechatronik-Ingenieurinnen und -Ingenieure in der Medizintechnik?
Sie sind sehr gefragt. In unseren Masterstudiengängen befinden sich einige Studierende, die in MedTech-Firmen arbeiten. An der Fachhochschule können sie Wissen und Kompetenzen für die Entwicklung, Optimierung sowie Fertigung von medizintechnischen Produkten erlangen.
Die OST wird Ende September am 21. Ostschweizer Technologiesymposium zum Thema «Im Herzen der Technik – MedTech Ostschweiz» vertreten sein. Was erwartet die Teilnehmenden?
An dieser Veranstaltung geht es einerseits um Normen, Regulatorien und Anwendungen im Bereich der Medizintechnik, aber auch um Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis. Diverse Referierende aus der Industrie, aus Startups und Forschung gewähren Einblick in ihre Arbeit. Zudem wird sich der Schweizer Motivationstrainer, Michel Fornasier, kritisch mit dem Thema MedTech auseinandersetzen. Auch eine Podiumsdiskussion steht auf dem Programm. Ziel ist es, den KMU in der Ostschweiz einen möglichen Einstieg in den MedTech-Bereich aufzuzeigen. Sie erfahren, was es dazu braucht, welche positiven Beispiele es bereits gibt und wo sie Unterstützung finden.
Interview: Ursula Ammann
Neue Produkte entwickeln und fertigen
Die OST bietet eine Reihe an Weiterbildungen im Bereich Mechatronik an. Darunter zwei Masterstudiengänge. Den Master of Engineering (M. Eng.) in Mechatronik und den Master of Advanced Studies (MAS) in Mechatronik. In diesen bilden sich die Teilnehmenden zu technischen Generalistinnen und Generalisten mit zusätzlichen Spezialkenntnissen in der Automatisierungstechnik weiter. Sie werden befähigt, neue Produkte zu entwickeln und zu fertigen, die den Bedürfnissen des Markts entsprechen