Berufliche Chancen für Generation 50+ fördern

2. Juni 2022

Manch eine Branche kämpft mit Fachkräftemangel. Gleichzeitig droht das Potenzial der über 50-jährigen Arbeitnehmenden in vielen Unternehmen brachzuliegen. Das Forschungsprojekt «Late Careers» der OST und der FHNW kommt zum Schluss, dass die Förderung und Personalentwicklung 50+ vernachlässigt wird und es an der Unterstützung von modernen Laufbahnprojekten fehlt. Doch wie gelingt es, die Arbeitsmarktfähigkeit älterer Fachkräfte zu erhalten?

Von Ursula Ammann

50 gilt als magische Grenze. Zumindest auf dem Arbeitsmarkt. Wer dieses Alter überschritten hat, erwartet meist keine grossen Karrieresprünge mehr. Jedoch täten Unternehmen gut daran, erfahrene Mitarbeitende auch im fortgeschrittenen Alter zu fördern und dabei zu unterstützen, ihren beruflichen Werdegang fortzusetzen. Dies vor dem Hintergrund des weit verbreitenden Fachkräftemangels, aber auch aufgrund demografischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Anteil der Arbeitnehmenden 50+ hat in den letzten Jahren zugenommen. Jeder fünfte Erwerbstätige ist heute 55 Jahre oder älter. Es findet eine Diskussion darüber statt, wie Menschen über 65 im Arbeitsmarkt gehalten werden können. Und die Politik fordert eine Erhöhung des Rentenalters.

Karriere-Zufriedenheit ist bei Jüngsten am höchsten

Das von der Innosuisse geförderte Forschungsprojekt «Late Careers» der OST – Ostschweizer Fachhochschule und der Fachhochschule Nordwestschweiz hat die Erwartungen und Erfahrungen zum Verlauf später Karrieren unter die Lupe genommen. Mit den fünf Partnerunternehmen Allianz, Baloise, CSS, sowie den Kantonsspitälern St.Gallen und Baselland hat das Projektteam verschiedene Erhebungen und Workshops durchgeführt, um Aktivitäten, Möglichkeiten und Mechanismen in der Förderung älterer Mitarbeitenden im Vergleich zu Jüngeren zu erfassen. Weiterer Umsetzungspartner ist die Grass & Partner AG.

Schon bei den 35- bis 49-Jährigen sieht man im Vergleich zur jüngeren Altersgruppe, dass die Erwartungen an einen Aufstieg sehr rapide abnehmen.

Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock, Professorin für Leadership und HR, Initiatorin des Projekts «Late Careers»

Insgesamt wurden in diesem Rahmen unter anderem 1851 Mitarbeitende verschiedenen Alters befragt. «Schon bei den 35- bis 49-Jährigen sieht man im Vergleich zur jüngeren Altersgruppe, dass die Erwartungen an einen Aufstieg sehr rapide abnehmen», sagt Sibylle Olbert-Bock, Professorin für Leadership und HR an der OST sowie Initiatorin des Projekts. Eine weitere Erkenntnis: Die Zufriedenheit mit der Karriere ist bei der jüngsten Altersgruppe, den 15- bis 34-Jährigen, am höchsten und erfährt einen Einbruch, sobald Mitarbeitende einen weiteren Aufstieg nicht mehr als möglich erachten. Interessant ist zudem: Bis zu 20 Prozent der 35-49-Jährigen gaben bei der Befragung an, schon einmal Altersdiskriminierung erlebt zu haben. Bei den Arbeitnehmenden 50+ sind es 22 Prozent.

Hinderliche Stereotypen

Eine grosse Herausforderung im Umfeld von Unternehmen ist die digitale Transformation. Sie erfordert zahlreiche neue Kompetenzen. Die digitale Zukunft werde aber oft mit jüngeren Arbeitskräften assoziiert, sagt Sibylle Olbert-Bock. Die Altersgruppe 50+ gilt hingegen als weniger affin gegenüber neuen Technologien, weniger kreativ und weniger interessiert an Weiterbildung. Doch ist das tatsächlich so? «Wenn solche Stereotypen existieren, verhalten sich die Mitarbeitenden möglicherweise auch eher danach», sagt die Professorin. «Werden ältere Arbeitnehmende beispielsweise gar nicht gefragt, ob sie eine Weiterbildung absolvieren möchten, bilden sie sich auch weniger häufig weiter.»

Das Forschungsprojekt «Late Careers» zeigt klar auf, dass sich ältere Arbeitnehmende nicht einfach zurücklehnen wollen. In Bezug auf Wünsche an das Unternehmen oder die Führungskräfte äusserten die über 50-Jährigen häufig, dass sie auch gerne so gefördert werden möchten wie die Jüngeren. Oftmals sei diese Aussage mit dem Gefühl verbunden, mit Blick auf Entwicklung alles selber leisten zu müssen, gleichzeitig aber viel weniger Möglichkeiten zu erhalten, so Sibylle Olbert-Bock.

Generationenvielfalt als Vorteil

Eines der Unternehmen, das sich am Forschungsprojekt «Late Careers» beteiligt hat, ist die Allianz. Die Versicherung hat mehrere Massnahmen ergriffen, um eine Chancenkultur für alle zu schaffen. «Wir sind überzeugt, dass uns die Vielfalt erfolgreicher macht, dazu gehört auch die Generationenvielfalt», sagt Nani Nold, Diversity, Inclusion & Work Well Managerin bei der Allianz. «Es ist uns ein Anliegen, diese Vielfalt zu fördern und dadurch auch ein Abbild der Gesellschaft zu sein.»

Wir sind überzeugt, dass uns die Vielfalt erfolgreicher macht, dazu gehört auch die Generationenvielfalt.

Nani Nold, Diversity, Inclusion & Work Well Managerin, Allianz

Ein Massnahmenfeld ist der «Raum für eigenen Entwicklungen». Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – unabhängig ob Berufseinsteigende oder Berufserfahrene – sollen rund ums Jahr ansprechen können, wo sie stehen und hinwollen, und so jederzeit die Chance bekommen, sich weiterzuentwickeln. «Vorher gab es jeweils ein Gespräch jährlich, bei dem Ziele und Entwicklungsmassnahmen erörtert wurden, die dann für das laufende Anstellungsjahr galten», sagt Nani Nold. Mit dem neuen Modell ist die Allianz flexibler unterwegs. Die Mitarbeitenden wählen zu dem für sie richtigen Zeitpunkt, was sie noch lernen möchten und profitieren von einem Weiterbildungsangebot, welches das ganze Jahr über verfügbar ist. Dadurch erhofft sich das Unternehmen auch, dass die Weiterbildungsquote bei den Arbeitnehmenden 50+ steigt.

Pflege: Arbeitsfähig bleiben in forderndem Umfeld

Als einer der grössten Arbeitgeber in der Ostschweiz hat auch das Kantonsspital St. Gallen am Forschungsprojekt «Late Careers» teilgenommen. Es beschäftigt derzeit rund 6000 Mitarbeitende aus 48 verschiedenen Berufsgruppen. Den Grossteil machen Fachpersonen im Bereich Pflege aus.  «Die meisten verstehen unter einer gelingenden Laufbahn, auch im fortgeschrittenen Altern noch ganz normal stationär oder ambulant im Pflegeberuf tätig sein zu können», sagt Peggy Palluch, Leiterin HR Personalentwicklung am Kantonsspital St. Gallen. Der Fokus dieser Mitarbeitenden liege also darauf, arbeits- und leistungsfähig zu bleiben in einem doch sehr fordernden Umfeld, so Peggy Palluch. «Die körperliche Belastung aufgrund von vielen Hebebewegungen, aber auch aufgrund von Schichtwechseln ist für viele eine Herausforderung.»

Die meisten verstehen unter einer gelingenden Laufbahn, auch im fortgeschrittenen Altern noch ganz normal stationär oder ambulant im Pflegeberuf tätig sein zu können.

Peggy Palluch, Leiterin HR Personalentwicklung, Kantonsspital St. Gallen

«Uns ist es ein Anliegen, die Mitarbeitenden sowohl im Arbeitsalltag als auch in Bezug auf ihre Laufbahnentwicklung zu begleiten», sagt sie. «Neben verschiedenen Jobsharing-Modellen, Arbeit in Tandems, Beratungsangeboten usw,. stehen den Mitarbeitenden ein umfangreiches Gesundheitsangebot und verschiedene Benefits zur Verfügung.» Unabhängig von ihrem Alter hätten alle Berufsgruppen die Möglichkeit, interne Weiterbildungen und bei Bedarf auch Führungsausbildungen zu besuchen. Zusätzlich zu der Berufsentwicklung im klassischen Pflegealltag sei eine weitere Entwicklungsmöglichkeit für Arbeitnehmende 50+ der pädagogische Weg. Pflegende könnten sich beispielsweise parallel zu einer stationären oder ambulanten Tätigkeit als Ausbildende oder Lehrgangsleitende engagieren und so ihren Erfahrungsschatz an Jüngere weitergeben.

Auch zur fachlichen Spezialisierung sollen die erfahrenen Arbeitnehmenden ermutigt werden, z.B. im Bereich Qualitätsmanagement oder Pflegeinformatik. Ziel ist es, die Mitarbeitenden so lange wie möglich fit und engagiert im Unternehmen zu halten. Denn das Gesundheitswesen hat ganz besonders unter dem Fachkräftemangel zu leiden.

Dieser Beitrag basiert auf einem Webinar aus der Webinarreihe «Klüger am Abend» der Weiterbildungsorganisation OST.