In einer globalisierten Welt, wie wir heute leben, trifft man sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit immer wieder auf Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Ein gutes Zusammenleben und eine wirksame Zusammenarbeit sind dabei nicht selbstverständlich. Dazu braucht es Fähigkeiten, wie die interkulturelle Kompetenz. Doch was ist das genau? Die beiden Experten Christa Uehlinger und Stefan Kammhuber erklären.
Von Marion Loher
In der Pflege oder auf der Baustelle, im Business, im Sportverein oder beim freiwilligen Engagement: In unserem Alltag arbeiten wir täglich mit kulturell unterschiedlichen Menschen zusammen und sind dabei immer wieder mit Andersartigkeit konfrontiert. Damit die Zusammenarbeit zwischen Menschen verschiedener Kulturen gelingen kann, braucht es interkulturelle Kompetenz. Dies ist die Fähigkeit, mit Menschen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben, wertschätzend, achtsam und reflektiert umgehen und kommunizieren zu können. «Damit Beziehungen aufgebaut und gepflegt sowie Aufgaben schliesslich erfüllt werden können, bedarf es einer interkulturellen Expertise und der Fähigkeit, diese im eigenen Handeln umzusetzen», sagt Stefan Kammhuber, Leiter des Instituts für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz (IKIK) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil. Für Christa Uehlinger, interkulturelle Mentorin und Dozentin für interkulturelle Kommunikation und Management an der OST, zieht sich interkulturelle Kompetenz wie «ein roter Faden durch unser Leben» und hat in der globalisierten Welt nicht nur Einfluss auf das multikulturelle Zusammenleben und die Zusammenarbeit, sondern auch auf die Entwicklung von neuen Produkten, Methoden und Technologien.
Automatische Bewertung stoppen
Interkulturelle Kompetenz kann erlernt werden. Hierfür bieten Stefan Kammhuber und Christa Uehlinger den CAS Interkulturelle Kompetenz an der OST – Ostschweizer Fachhochschule an. Bei diesem Lehrgang ist in einem ersten Schritt wichtig, die eigene automatische Bewertung zu stoppen. «Halten Sie inne und denken Sie über die Situation nach, die Sie vielleicht soeben irritiert hat», rät der Experte. Das klinge zwar einfach, sei aber das Schwierigste des interkulturellen Lernvorgangs. «Der Mensch bewertet und schubladisiert immer und überall. Dies abzustellen, muss bewusst und gezielt gemacht werden.»
Danach brauche es eine Präzisierung dessen, was einen gerade verunsichert oder gestört habe, sowie eine Analyse der situativen und individuellen Einflussfaktoren. «Das Verhalten des Menschen ist sehr komplex. Das heisst: Es ist bedingt durch die Situation, in der er oder sie sich befinden, aber auch durch die individuelle Persönlichkeit sowie durch die Kultur», so Stefan Kammhuber. Ihm ist wichtig, dass Verhalten nicht ausschliesslich durch die kulturelle Brille angeschaut wird, sondern auch die situativen Zwänge und persönlichen Eigenschaften berücksichtigt werden. «Wenn man lernt, diese drei Bereiche ins eigene Denken einzubeziehen, kann man schon viel wirksamer zusammenarbeiten», ergänzt Christa Uehlinger.
«Der Mensch bewertet und schubladisiert immer und überall. Dies abzustellen, muss bewusst und gezielt gemacht werden.»
Stefan Kammhuber, Leiter des Instituts für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz (IKIK) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule
Wissen fair, konstruktiv und nachhaltig nutzen
Bezogen auf die kulturelle Ebene geht es in einem nächsten Schritt darum, die eigenen (kulturspezifischen) Erwartungen zu thematisieren. «Diese Erwartungen sind nicht einfach so bei uns entstanden, sondern beruhen auf bestimmten kulturellen Werten und Normen», sagt Stefan Kammhuber. Deshalb ist es bedeutend, die eigenen und fremden kulturellen Werte, Normen und Regeln zu erkennen, und sie gleichzeitig gegenüberzustellen. «So realisiert man langsam, dass es vielleicht nicht ganz so speziell oder aussergewöhnlich ist, wie sich ein Mensch in einer gewissen Situation verhält oder wie er oder sie etwas sagt.» Er empfiehlt deshalb, das Wissen um die eigenen und fremden kulturellen Werte, Normen und Regeln fair, konstruktiv und nachhaltig zu nutzen. «Interkulturelle Kompetenz ist eine Sozialtechnologie, die sowohl zum Guten als auch zum Schlechten eingesetzt werden kann», sagt er und betont, dass es auf die Haltung ankommt.
«Interkulturelle Kompetenz bedeutet auch, Mensch zu sein und den anderen so zu akzeptieren und wertzuschätzen, wie er oder sie in seiner gesamten Prägung ist».
Christa Uehlinger, interkulturelle Mentorin und Dozentin für interkulturelle Kommunikation und Management an der OST – Ostschweizer Fachhochschule
Wer sich diese komplexe Fähigkeit aneignen möchte, braucht verschiedene Skills. Dazu gehören unter anderem die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln und in Beziehung zu gehen, ebenso wie gutes Beobachten, Zuhören, Analysieren und Reflektieren sowie Empathie, Offenheit und Wertschätzung. Letzteres ist für Stefan Kammhuber sehr wichtig. «Interkulturelle Kompetenz heisst nicht, alles andere immer gut zu finden, sondern sich zunächst mit dem anderen auseinanderzusetzen und es in seinem Wert schätzen zu können. Das ist mehr als Toleranz.» Für Christa Uehlinger bedeutet es zudem «Mensch zu sein und den anderen so zu akzeptieren und wertzuschätzen, wie er oder sie in seiner gesamten Prägung ist».
Dieser Beitrag basiert auf einem Webinar aus der Reihe «Klüger am Abend» der Weiterbildungsorganisation OST.