«Der Beruf würde an Anerkennung gewinnen»

24. August 2022

Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit einer Beeinträchtigung spielen eine wichtige Rolle bei der Integration. Um geeignete Angebote zu entwickeln und umzusetzen, braucht es gut ausgebildete Fach- und Führungspersonen in der Arbeitsagogik. Im Interview spricht Regula Buzziol, Leiterin des neuen CAS Leadership in Arbeitsagogik, über das noch junge Berufsbild der Arbeitsagogin und des Arbeitsagogen.

Interview: Marion Loher

Verschiedene Bildungsanbieter von Arbeitsagogik Lehrgängen – darunter auch die Academia Euregio Bodensee – hatten eine Studie zur Wirksamkeit der Arbeitsagogik lanciert. Was war das Ziel der Untersuchung?

Mit der Studie wollten wir herausfinden, welche Auswirkungen die arbeitsagogischen Tätigkeiten wie Förderprogramme oder Unterstützungsangebote auf die Menschen mit einer Beeinträchtigung haben. Dabei sollte vor allem die Frage geklärt werden, ob die Massnahmen diesen Menschen auch tatsächlich etwas bringen.

«Früher dachte man, dass einfach irgendjemand aus der Institution den Klientinnen und Klienten zeigen kann, wie gewisse Arbeiten erledigt werden können.»

Regula Buzziol, Leiterin CAS Leadership in Arbeitsagogik, OST – Ostschweizer Fachhochschule.

Und? Bringen sie etwas?

Leider sind wir nicht so weit gekommen. Die Grundlagenarbeit zur Studie, bei der ein Modell zu den Wirkmechanismen der Arbeitsagogik entwickelt wurde, konnte zwar noch gemacht werden. Für die Überprüfung der Wirkungszusammenhänge im Rahmen von empirischen Studien und Evaluationen fehlt es aber bis heute an entsprechenden finanziellen Mitteln. Was sehr schade ist. Zudem hatten wir das Gefühl, dass diese Überprüfung Sache der Institutionen ist. Bislang ist diesbezüglich aber nichts mehr passiert.

Warum wäre es so wichtig, die Wirksamkeit der Arbeitsagogik wissenschaftlich zu untersuchen?

Früher dachte man, dass einfach irgendjemand aus der Institution den Klientinnen und Klienten zeigen kann, wie gewisse Arbeiten erledigt werden können. Diese Ansicht hat sich zum Glück mittlerweile geändert, und die Arbeitsagogik ist in den hauptsächlich sozialen Institutionen schon weitgehend akzeptiert. Aber es hat einige Jahre gedauert, bis es soweit war. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik hätte einen Beitrag zur Professionalisierung der Arbeitsagogik leisten sollen. Wenn die Wirksamkeit des arbeitsagogischen Handelns in der Praxis wissenschaftlich belegt werden kann, würde das Berufsbild an Anerkennung und Bedeutung gewinnen.

Weshalb braucht es heute Arbeitsagoginnen und -agogen?

Die Integration von Menschen mit einer Beeinträchtigung findet insbesondere über die Arbeit statt. Arbeitsagoginnen und -agogen begleiten und fördern diese Menschen auf ihrem Weg der beruflichen Eingliederung. Es ist wichtig, dass sie so unterstützt werden, damit sie selbstständig eine Tätigkeit ausüben können.

In der Grundlagenstudie wurde ein Modell zu den Wirkmechanismen der Arbeitsagogik entwickelt. Was sagt dieses Modell aus?

Es zeigt eindeutig, in welchem Spannungsfeld die Arbeitsagoginnen und -agogen arbeiten. Sie müssen einerseits zusammen mit den Personen mit Beeinträchtigung unter Zeitdruck ein Produkt herstellen, dass qualitativ hochwertig ist und sich verkaufen lässt, und andererseits ebendiesen Menschen und ihrer besonderen Situation gerecht werden. Dieses Spannungsfeld ist eine grosse Herausforderung, macht diesen Beruf aber auch sehr interessant.

Das Interesse an diesem Beruf ist in den vergangenen Jahren auch sehr gestiegen. Im Frühling 2023 startet ein neuer Lehrgang an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, der CAS Leadership in Arbeitsagogik, der von Ihnen geleitet wird.

Der Beruf ist sehr gefragt, vor allem auch, weil er das Soziale mit dem Fachlichen verbindet. Wir beobachten, dass es sehr viele Quereinsteigende gibt, die in den vergangenen Jahren auch immer jünger geworden sind.

Arbeitsagoginnen und -agogen sind heute vorwiegend in sozialen Institutionen tätig. Haben andere Organisationen oder Unternehmen weniger Interesse?

Das würde ich so nicht sagen. Arbeitsagogik ist ein eher junges Berufsfeld und viele wissen wenig Bescheid darüber. Unser Ziel ist es, dass beispielsweise auch in der Industrie oder den Gemeindeverwaltungen verstärkt Arbeitsagoginnen und -agogen tätig sind. Denn es gibt mit Sicherheit in vielen Betrieben Möglichkeiten, Mitarbeitende mit Unterstützungsbedarf anzustellen. Um sie könnte sich der Arbeitsagoge oder die Arbeitsagogin kümmern, damit eine Integration so gut wie möglich klappt.

Zur Person

Regula Buzziol hat die Academia Euregio Bodensee AG vor gut 17 Jahren mitaufgebaut. Heute ist sie die Geschäftsführerin. Das Unternehmen führt hauptsächlich Lehrgänge und Seminare im Bereich der systemischen Arbeitsagogik durch. Regula Buzziol ist auch als Dozentin an der OST – Ostschweizer Fachhochschule tätig und verantwortet nebst dem CAS Supported Employment – Arbeitsintegration auch den neuen CAS Leadership in Arbeitsagogik. Dieser Zertifikatskurs ermöglicht eine Spezialisierung auf Führungsebene, um Leitungs-, Projekt-, und Beratungsaufgaben im Feld der Arbeitsagogik zu übernehmen. Die Teilnehmenden vertiefen erlernte Handlungskompetenzen und entwickeln ihre eigene Berufsidentität weiter. Sie setzen sich mit neuen Ansätzen in Führung und Konzeption auseinander, betrachten das Berufsfeld im gesellschaftspolitischen Umfeld und lernen, die Berufsinteressen in der Öffentlichkeit zu vertreten.