Ein Blick in die Zukunft des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts

24. Mai 2023

Vor zehn Jahren trat das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Seither schreiten gesellschaftliche Entwicklungen wie der Fachkräftemangel oder der demografische Wandel rasch voran. Diese stellen bereits heute grosse Herausforderungen für den Kindes- und Erwachsenenschutz dar und werden auch in Zukunft bedeutende Themen bleiben. Anhand von fünf Megatrends werden die Auswirkungen dieser Herausforderungen auf das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht der Zukunft diskutiert.

«Lawinen in Zeitlupe» – so beschreibt das Zukunftsinstitut Megatrends. Diese entwickeln sich zwar langsam, doch sie sind enorm mächtig. Sie benennen und beschreiben komplexe Veränderungsdynamiken der Gesellschaft. Deshalb sind Megatrends eine wichtige Grundlage für Entscheidungen in Wirtschaft, Politik und auf persönlicher Ebene. Folgend werden fünf Megatrends und die Herausforderungen, die dadurch zukünftig für die Arbeit im Kindes- und Erwachsenenschutz (KES) entstehen, beschrieben.

5 Megatrends – 5 Herausforderungen für den Kindes- und Erwachsenenschutz

1. Megatrend Silver Society

Thomas Knill
Kursleiter CAS Kindes- und Erwachsenenschutz an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Der demografische Wandel stellt die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Die Menschen werden immer älter, sie bleiben aber auch länger fit. Darin sieht Thomas Knill, Kursleiter des CAS Kindes- und Erwachsenenschutz an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, auch eine Chance: «Ältere Menschen, die lange gesund sind, sind in vielerlei Hinsicht auch Ressourcen. Sie pflegen zum Beispiel ihre Partnerin oder ihren Partner, leisten Betreuungsarbeit der Enkel und engagieren sich zivilgesellschaftlich.»

In der KES-Arbeit könnten ältere Menschen in Zukunft vermehrt im Kampf gegen den Fachkräftemangel eingesetzt werden. «Der Übergang in die Pensionierung sollte von diesen aktiver gestaltet werden können. Wenn es von Seiten der Arbeitgebenden gelingt, attraktive Arbeitszeitmodelle im Übergang ins Pensionsalter anzubieten, besteht eine gute Chance, dass Fachpersonen über das Rentenalter hinaus in kleineren Pensen arbeiten. So können sie ihr breites Wissen weitergeben und dadurch kann ein Beitrag gegen den Fachkräftemangel geleistet werden.» In Zukunft tun wir uns gut daran, die Selbstständigkeit älterer Menschen als selbstverständlich anzunehmen und dort, wo dies nicht der Fall sein sollte, diese zu ermöglichen. Laut Thomas Knill wäre das eine Investition, die sich auszahlen würde.

2. Megatrend Wissenskultur

Carole Zellner
Wissenschaftliche Mitarbeiterin IFSAR Institut für Soziale Arbeit und Räume an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Der globale Bildungsstand ist so hoch wie nie zuvor. Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen revolutioniert. Gleichzeitig ist das Wissen der Menschen oberflächlicher geworden. Sie verfügen über mehr «Halbwissen», das sich von wissenschaftlichem, datenbasiertem Wissen unterscheidet. Die Klientel der KES-Mitarbeitenden ist zukünftig über mehr Themen informiert und dadurch zunehmend «wissensanspruchsvoll».
«Die Diversität der Wissensbestände der Klientinnen und Klienten müssen zukünftig in die KES-Arbeit miteinbezogen werden», betont Carole Zellner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFSAR Institut für Soziale Arbeit und Räume an der OST. Es sei eine Errungenschaft, dass Klientinnen und Klienten über mehr Wissen verfügen, denn so könne künftig noch stärker auf Augenhöhe mit der Klientel gearbeitet werden. In der Digitalisierung sieht Carole Zellner eine neue Perspektive: «Künstliche Intelligenz könnte künftig entlastend für die KES-Arbeit wirken.»

3. Megatrend Gender Shift

Regula Flisch
Prorektorin PH St.Gallen und KES-Expertin

Die traditionellen Rollen, die Frauen und Männern in der Gesellschaft zugeschrieben werden, verlieren an gesellschaftlicher Verbindlichkeit. Traditionelle Familienstrukturen verändern sich, Mütter kehren beispielsweise schneller und stärker in die Erwerbsarbeit zurück. Dies zumindest in der Theorie. In der Praxis gewinnen in vielen Ländern patriarchale Gesellschaftsstrukturen wieder an Bedeutung.

Im Bereich der KES-Arbeit sind Vollzeitbeschäftigungen die Norm, was für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie eine grosse Herausforderung darstellt. «Für Frauen muss es künftig möglich sein, auch während intensiven Familien-Phasen in der KES-Arbeit zu bleiben», betont Regula Flisch, Prorektorin der PH St.Gallen und KES-Expertin. Das setze jedoch flexible Arbeitsmodelle, unbezahlte Urlaube und eine attraktive Gestaltung der Aus- und Weiterbildungsangebote voraus. Zudem spielen attraktive Löhne eine bedeutende Rolle. «Frauen sollten niederprozentig arbeiten können und es sollte sich aus einer finanziellen Perspektive trotzdem noch lohnen», erklärt Regula Flisch.

4. Megatrend Individualisierung

Fredy Morgenthaler
Kursleiter CAS Soziale Arbeit mit gesetzlichem Auftrag an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Die individuelle Lebensentwicklung und die Selbstverwirklichung haben einen grossen Stellenwert in der Gesellschaft. Dies lässt vermuten, dass die Instrumente der eigenen Vorsorge in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Dafür braucht es eventuell unterstützende Strukturen. Parallel zur zunehmenden Individualisierung wächst die Bedeutung neuer Gemeinschaften. «Zukünftig werden neue Lebensformen und -modelle übernehmen, was früher die Familie geleistet hat», erklärt Fredy Morgenthaler, Kursleiter des CAS Soziale Arbeit mit gesetzlichem Auftrag an der OST und nennt Alterswohngemeinschaften als Beispiel.

Durch die Individualisierung werden auch die Bedürfnisse und der Bedarf im Bereich des Arbeitssettings seitens Mitarbeitende im KES individueller. Dies erfordert laut Fredy Morgenthaler unter anderem auch, dass die Massnahmeanordnung und -führung noch angepasster sein müssen.

5. Megatrend Gesundheit

Rahel Lutz
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Region St.Gallen

Gesundheit ist in den letzten Jahren zum Synonym für eine hohe Lebensqualität geworden. Das Gesundheitsmanagement in Unternehmen gewinnt an Bedeutung und wird zur strategischen Führungsaufgabe, damit das Personal gehalten werden kann. Das Feld des Kindes- und Erwachsenenschutzes ist – wenn man die Rückmeldungen aus dem Handlungsfeld von KES und Berufsbeiständen hört – alles andere als gesundheitsfördernd. Ein Konzept zur Gesundheitsförderung der Mitarbeitenden ist eher selten.

Rahel Lutz von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Region St.Gallen relativiert diese These: «Die Arbeit im Kindes- und Erwachsenenschutz ist sehr sinnhaft und wertvoll. Etwas Sinnvolles zu tun ist für viele Mitarbeitende wichtig und entsprechend eher förderlich für die Gesundheit. Viele schöpfen Kraft aus dieser Sinnhaftigkeit.» Trotzdem gibt es laut Rahel Lutz künftig Handlungsbedarf. «Nebst den Belastungen, die die tägliche Arbeit mit Betroffenen mit sich bringt, sind mangelnde oder schlechte Strukturen ein Problem. Dazu gehören beispielsweise mangelnde Ressourcen, veraltete und unflexible Arbeitsmodelle und fehlende oder zu kurze Einarbeitungszeiten.»

Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Community-Anlass Kindes- und Erwachsenenschutzes (KES), der zum Thema «Die Welt im Wandel – Perspektiven für den Kindes- und Erwachsenenschutz für weitere 10 Jahre» stattfand.

CAS Kindes- und Erwachsenenschutz

In der Praxis sehen sich Mitarbeitende des Kindes- und Erwachsenenschutzes nebst herausfordernden Situationen und komplexen Fragestellungen auch mit divergierenden Erwartungen aus dem sozialen Umfeld der Betroffenen konfrontiert. Der CAS Kindes- und Erwachsenenschutz vermittelt hilfreiche Kompetenzen, um mit diesen Spannungsfeldern umzugehen.

Bildquelle: Zukunftsinstitut