Wohnraum ist in der Schweiz knapp – preisgünstiger Wohnraum noch viel knapper. In seiner Masterarbeit im MAS Raumentwicklung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule hat sich Raphael Walker eingehend mit preisgünstigem Wohnraum befasst. Im Interview erklärt er, welche Herausforderungen bestehen, um günstige Wohnung anzubieten und warum individuelle Lösungen gefragt sind, um der grossen Nachfrage entgegenzukommen.
Was versteht man unter «preisgünstigem» Wohnraum?
Raphael Walker: Die Definition hängt von der eigenen persönlichen Einstellung, den finanziellen Möglichkeiten sowie der Lebenssituation und schlussendlich auch von der Lage der Wohnung ab. Was mitten im Stadtzentrum als preisgünstig wahrgenommen wird, ist in der Agglomeration oder auf dem Land nicht «per se» preisgünstig. Es gibt also unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter «preisgünstigem» Wohnraum verstanden wird. Im Bereich der Wohnraumförderung ist eine Definition hingegen möglich.
Wie lautet diese Definition?
In der Wohnraumförderung wird eine Wohnung als «preisgünstig» bezeichnet, wenn zwei Hauptkriterien erfüllt sind: Die vorgegebenen Anlagekostenlimiten müssen eingehalten und die Mieten nach dem Kostenmietprinzip festgelegt werden. Mit den Anlagekostenlimiten wird festgelegt, dass die Kosten für das Land, den Bau oder die Renovierung der Wohnung bestimmte Grenzen nicht überschreiten dürfen. Das Kostenmietprinzip besagt, dass die Mieten für die Wohnungen so festgelegt werden, dass sie die tatsächlichen Kosten für Bau, Unterhalt und Verwaltung decken, ohne dass ein zusätzlicher Gewinn erzielt wird.
«Alle sprechen über preisgünstigen Wohnraum, doch niemand weiss, was man genau darunter versteht», erklärt Raphael Walker die Motivation hinter seiner Masterarbeit mit dem Titel «Was ist ‘preisgünstiger Wohnraum’ und wie kann dieser in der Nutzungsplanung umgesetzt und eingefordert werden». Der Absolvent des MAS Raumentwicklung ist Projektleiter Wohnungswesen beim Amt für Raum und Verkehr des Kantons Zug. Ein Teil seines Aufgabengebiets betrifft die kantonale Wohnraumförderung, wobei neben dem Wohnungsmangel insbesondere der Mangel an preisgünstigem Wohnraum ein allgegenwärtiges Thema ist.

Gibt es ein Recht auf preisgünstigen Wohnraum?
Nein, ein solches Recht gibt es nicht. Es gibt aber ein Recht auf eine Wohnung zu sogenannten «tragbaren Bedingungen». Dieses ist in der Bundesverfassung verankert. Gestützt darauf müssen sich der Bund und die Kantone dafür einsetzen, dass Wohnungssuchende und ihre Familien eine angemessene Wohnung finden können. Mit dem Begriff einer «angemessenen Wohnung» ist dabei eine hygienisch einwandfreie, heizbare, mit Warmwasser ausgestattete und einem angemessenen Raumbedarf entsprechende Wohnung gemeint. Die Definition deckt also die Grundbedürfnisse des Wohnens ab, legt aber kein Verhältnis zum Einkommen oder ähnliches fest.
Wie wird der Wohnungsbedarf in einer Region ermittelt?
Der eigentliche Bedarf an Wohnraum lässt sich gut anhand der Leerwohnungsziffer ermitteln. In der Regel gehen die Kantone von einem Wohnungsmangel aus, wenn der Leerwohnungsbestand 1,5 Prozent oder weniger beträgt. Dies bedeutet, dass 1,5 Prozent aller verfügbaren Wohnungen in einem bestimmten Gebiet unbewohnt sind oder zur Miete oder zum Verkauf angeboten werden.
Zwei Faktoren beeinflussen diese Zahl besonders: das anhaltende Bevölkerungswachstum und die geringe Zahl der eingereichten Baugesuche, die in den kommenden Jahren zu einem deutlichen Rückgang des Wohnungsneubaus führen dürfte. Der Bedarf an preisgünstigem Wohnraum wiederum lässt sich durch das Verhältnis von Haushaltseinkommen und Wohnkosten ermitteln.
Wie sollte dieses Verhältnis aussehen?
Für viele Haushalte stellen die Ausgaben für den Mietzins inkl. den Nebenkosten den grössten Posten im Haushaltsbudget dar. Als Faustregel gilt in der Schweiz, dass die Ausgaben für die Bruttomiete nicht mehr als ein Drittel des Einkommens ausmachen sollten. Empfehlenswert ist, die Berechnung mit dem Nettolohn vorzunehmen. Unabhängig davon zu beachten ist jedoch, dass es sich um eine Faustregel handelt und dass das «Ein-Drittel-Verhältnis» als Maximalwert zu verstehen ist.
Gibt es in der Schweiz Regelungen, inwiefern preisgünstiger Wohnraum geschaffen werden muss?
Von den 26 Kantonen verfügen Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, Waadt, Zug und Zürich über eine gesetzliche Grundlage für eine aktive Mietwohnraumförderung. In der Stadt Zug wurde zum Beispiel im Rahmen der letzten Ortsplanungsrevision im Jahr 2009 vier Neueinzonungen mit einer Zone für preisgünstigen Wohnungsbau überlagert und die entsprechenden Bestimmungen in der Bauordnung festgesetzt. In diesen Gebieten müssen mindestens 50 Prozent der anzurechnenden Geschossfläche im Sinne des preisgünstigen Wohnungsbaus erstellt werden. Die Stadt Zug geht davon aus, dass gestützt auf diese Bestimmung mindestens 340 neue preisgünstige Wohnungen entstehen werden.
Wie kann preisgünstiger Wohnraum gefördert werden?
In der Rahmennutzungsplanung kann preisgünstiger Wohnraum mit Regulierungs- oder mit Anreizmassnahmen gefördert werden. Die Regulierungsmassnahmen greifen direkt in den Wohnungsmarkt und in die Wahlfreiheit der Eigentümerschaft ein. Dies, um mittels Gebote oder Verbote eine übergeordnete Zielsetzung zu steuern, um preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Dies kann beispielsweise durch die Festsetzung einer entsprechenden Bestimmung in der Bauordnung oder gestützt auf einen verwaltungsrechtlichen Vertrag eingefordert werden. Eine klassische Regulierungsmassnahme ist, dass Mindestanteile an preisgünstigem Wohnraum eingefordert werden.
Bei den Anreizmassnahmen bleibt die Wahlfreiheit bestehen, wodurch die politische Akzeptanz dieser Massnahme deutlich höher liegt. Die grosse Herausforderung besteht jedoch darin, das Anreizmass in einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis festzulegen, damit das übergeordnete Ziel auch tatsächlich erreicht werden kann. Bei den Anreizmassnahmen handelt es sich zum Beispiel um Nutzungs- und Umnutzungsprivilegien oder Privilegien bei den Messvorschriften.
Welche Lösungsansätze gibt es, die praxistauglich und umsetzbar sind?
Die Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt und damit auch die Ursachen dieser Herausforderungen sind regional sehr unterschiedlich und erfordern individuelle Lösungsansätze. Aus diesem Grund können keine allgemeingültigen Handlungsempfehlungen oder ein allgemeingültiger Best-Practice-Ansatz definiert werden. Bevor einzelne Massnahmen festgelegt werden, um den preisgünstigen Wohnraum zu fördern, sollte in einem ersten Schritt ein Konsens über die eigentlichen Herausforderungen einer Gemeinde, einer Region oder eines Kantons gefunden werden. Daraufhin können Ziele definiert und mit einer Wohnraumstrategie umgesetzt werden.
Beitragsbild: «Wo Wo Wohnige?!» wurde während einer Wohndemo an eine Fassade in Zürich nahe Hauptbahnhof gesprayt. (Bild: Nora Lüthi)
MAS Raumentwicklung
Die Raumentwicklung befasst sich mit der zweckmässigen, achtsamen und nachhaltigen Nutzung des Bodens. Sie umfasst die Raumbeobachtung und das Raummanagement. Dabei integriert sie die unterschiedlichen Politikbereiche und baut auf naturwissenschaftlichen, technischen, sozialwissenschaftlichen Theorien und rechtlichen Grundlagen auf. Im MAS Raumentwicklung eignen sich die Teilnehmenden diese Querschnittskompetenzen an und vertiefen ihre Fachkompetenzen. Sie erarbeiten planungsrechtliche und -technische Kompetenzen, planen Prozesse und lösen Managementaufgaben.