Grosse Tanks zur Wärmespeicherung.

«Diese Technologie ist einfach und ökologisch, aber das heutige Energiegesetz erschwert sie»

27. Mai 2021

Warmwasser und Heizung machen fast die Hälfte unseres Energieverbrauchs aus. Im Hinblick auf die Strommarktliberalisierung und die Energiewende sind deshalb auch Wärmeversorger gefordert, neue Lösungen zu finden. Die thermische Energiespeicherung könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Patrick Flammer, Bereichsleiter Wärme und Contracting bei den St. Galler Stadtwerken, hat sich im Rahmen seiner Masterarbeit mit dieser Technologie auseinandergesetzt. Im Interview spricht der EMBA-Absolvent darüber, warum thermische Energiespeicher sich trotz ihres ökologischen und wirtschaftlichen Potentials noch nicht etabliert haben in der Schweiz und was er sich von der Politik wünscht.

Themenbild: Christian Flierl
Interview:

Sie haben Ihre Masterarbeit über thermische Energiespeicherung geschrieben. Was hat Sie zu diesem Thema bewogen?

Die St. Galler Stadtwerke betreiben ein Fernwärmenetz, das aktuell rund 16 400 Haushalte und Betriebe mit Wärme für Warmwasser und Heizung versorgt. Diese Wärme wird derzeit durch das Verbrennen der Abfälle im Kehrichtheizkraftwerk im Sittertobel erzeugt. Wir wollten herausfinden, was ein thermischer Energiespeicher im Zusammenhang mit dem Fernwärmenetz bringt und haben ein Projekt dazu lanciert. Meine Masterarbeit gab die Initialzündung.

Patrick Flammer
Bereichsleiter Wärme und Contracting, St. Galler Stadtwerke
Absolvent Executive MBA

Welchen Nutzen hätte ein thermischer Energiespeicher im Fall der Stadt St.Gallen?

Das Kehrichtheizkraftwerk verbrennt den Abfall dann, wenn er anfällt. Es kann sich nicht danach richten, wie viel Wärme die Bevölkerung gerade benötigt. Im Sommer ist zum Beispiel der Wärmebedarf viel geringer, weil man nur Warmwasser braucht und keine Heizung. Die Menge an anfallendem Kehricht bleibt aber rund ums Jahr etwa gleich. Die Technologie der thermischen Energiespeicherung würde es uns ermöglichen, überschüssige Energie aus dem Kehrichtheizkraftwerk zwischenzuspeichern. Das Potential reicht aber noch weiter: Ein thermischer Energiespeicher ergänzt mit einem Elektrodenkessel könnte auch Überschussstrom aus Photovoltaikanlagen in Wärme umwandeln, die man wiederum ins Fernwärmenetz einspeisen könnte. Man spricht in diesem Fall von Power-to-Heat.

Wie sähe eine solche Anlage aus?

Man kann sich diese vom Prinzip her vorstellen wie einen Elektroboiler im Keller eines Hauses – nur, dass der Speicher vom Volumen her etwa das halbe St. Galler Rathaus oder den halben Fachhochschulturm umfassen würde, weil er nicht nur für die Versorgung eines Hauses, sondern einer ganzen Stadt gedacht ist. Den Elektrodenkessel kann man vergleichen mit dem Tauchsieder im Elektroboiler. In unserem Fall wäre dieser aber nicht im Speicher drin, sondern vorgelagert. Im Sittertobel bestünde auf dem Areal des Kehrichtheizkraftwerks durchaus Platz für den Bau einer solchen Anlage. Das Stadtbild würde dadurch nicht beeinträchtigt werden.

Könnte man die überschüssige Energie, die am Wochenende bei der Abfallverbrennung entsteht, in einen Speicher einlagern und diese am Montag nutzen, wären wir weniger auf fossile Energie angewiesen.

Patrick Flammer

Welches ökologische und wirtschaftliche Potential bietet die thermische Energiespeicherung?

Das lässt sich am Beispiel eines kalten Montagmorgens im Winter gut veranschaulichen: Die Industrie fährt den Betrieb wieder, die Läden öffnen, die Menschen müssen zur Arbeit. Der Bedarf an Warmwasser und Raumwärme steigt gegenüber dem Wochenende schlagartig. Zu solchen Spitzenzeiten reicht beispielsweise bei uns die Wärme aus der Abfallverbrennung nicht mehr aus. Um unserem Versorgungsauftrag nachzukommen, müssen wir zusätzlich Heizzentralen in Betrieb nehmen. Diese basieren auf Erdgas. Könnte man die überschüssige Energie, die am Wochenende bei der Abfallverbrennung entsteht, in einen Speicher einlagern und diese am Montag nutzen, wären wir weniger auf fossile Energie angewiesen. Damit würde der CO2-Ausstoss sinken. Gleichzeitig würden auch die Kosten für das Gas wegfallen. Diese Technologie hätte also auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Experten-Befragungen, die ich im Rahmen meiner Arbeit durchgeführt habe, machten sogar deutlich, dass der Bau von thermischen Energiespeichern in den allermeisten Fällen aus wirtschaftlichen Überlegungen in Erwägung gezogen wird. Der ökologische Mehrwert ist nur ein schöner Nebeneffekt.

Warum hat sich die thermische Energiespeicherung trotz dieser Vorteile noch nicht richtig etabliert in der Schweiz?

Technisch wäre alles machbar: Die thermische Energiespeicherung existiert seit Jahren. Sie ist gut erprobt und zudem günstig im Bau und Unterhalt. Nur: Möchte man diese Technologie im Rahmen einer Power-to-Heat-Anlage nutzen, um überschüssigen Strom etwa aus Photovoltaik- oder Windkraftanlagen in Wärme umzuwandeln, ist man auf das öffentliche Stromnetz angewiesen. Denn der Strom müsste zuerst zur Anlage transferiert werden. Dafür fällt in der Schweiz ein vergleichsweise hohes Netzentgelt an, was die wirtschaftliche Attraktivität massiv schmälert. Die Technologie ist also einfach und ökologisch, aber das heutige Energiegesetz erschwert sie. In der Schweiz gibt es nach wie vor nur eine Handvoll Anlagen. In Deutschland ist diese Technologie schon eher auf dem Vormarsch und in Dänemark hat man sie nahezu perfektioniert.

In Ihrer Arbeit haben Sie einen Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz gezogen. Warum ist Deutschland weiter, was die thermische Energiespeicherung betrifft?

Die energiegesetzlichen Rahmenbedingungen sind in Deutschland weitaus aufgeschlossener gegenüber dieser Technologie, was sich teils auch mit den unterschiedlichen historischen Entwicklungen des Strommarkts begründen lässt. In der Schweiz fehlt es jedoch speziell an staatlicher Unterstützung mittels Förderbeiträgen. Zudem erschweren aufwendige Bewilligungsverfahren die Realisierung entsprechender Anlagen. Dazu kommt das hohe Netzentgelt. Es fällt auch dann an, wenn der Strom selbst nichts kostet.

Was ist Ihr Appell an die Politik?

Es gibt in der Schweiz Produktionen, die vom Netzentgelt befreit sind: zum Beispiel die Wasserkraft. Auch das ist historisch gewachsen. Mein Appell an die Politik ist, dass man andere Technologien, die unsere Energiewende unterstützen, ähnlich behandelt. Würde beim Stromtransfer im Zusammenhang mit der thermischen Energiespeicherung das Netzentgelt entfallen, wäre diese Technologie sofort wirtschaftlich.

In Ihrer Arbeit kommen Sie zum Schluss, dass die thermische Energiespeicherung eine geeignete Schlüsseltechnologie für die St. Galler Stadtwerke wäre. Gleichzeitig halten sie aber fest, dass die Voraussetzungen für die Wirtschaftlichkeit dieser zukunftsträchtigen Technologie zurzeit nicht gegeben sind. Was passiert nun mit dieser Erkenntnis?

Fakt ist: Mit der thermischen Energiespeicherung wären wir viel ökologischer und wirtschaftlicher unterwegs in St.Gallen. Das hohe Netzentgelt, das für die Nutzung des öffentlichen Netzes anfällt, macht den wirtschaftlichen Vorteil aber wieder zunichte. Es lohnt sich also nicht, überschüssigen Strom aus externen Produktionen wie Photovoltaik- oder Windkraft in Wärme umzuwandeln. Wir ziehen es nun in Betracht, die Anlage vorerst so zu realisieren, dass die überschüssige Energie aus dem Kehrichtheizkraftwerk genutzt werden kann. Hier würde kein Netzentgelt anfallen, weil wir nicht auf das öffentliche Stromnetz angewiesen wären, sondern auf unser Arealnetz zurückgreifen können. Auf jeden Fall konnten wir durch die Masterarbeit wichtige Grundlagen und Erkenntnisse gewinnen.