Klimaneutral bis 2050: Eine Mammutaufgabe, aber machbar

2. Juli 2021

Um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, muss die Weltgemeinschaft den CO2-Ausstoss innerhalb der nächsten 30 Jahre auf Netto-Null reduzieren. Doch nach wie vor ist die Abhängigkeit von fossilen Brenn- und Treibstoffen, die massgeblich für die Emissionen schädlicher Treibhausgase verantwortlich sind, gross. Erneuerbare Energien wie beispielsweise Photovoltaik bekommen zwar Aufwind, fristen aber immer noch ein Schattendasein. Ist die Energiewende dennoch zu schaffen?

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Die stetig steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre führt zu immer höheren Temperaturen auf der Erde. Schmelzende Gletscher und polare Eiskappen, ein erhöhter Meeresspiegel und Wetterextreme wie Überschwemmungen oder Dürren sind Beispiele für die Folgen. Die Liste der direkten und indirekten Auswirkungen der Klimaerwärmung liesse sich jedoch beinahe endlos fortführen.

Daniel Gstöhl, Dozent für Strömungslehre und Thermodynamik, Studienleiter MAS in Energiesysteme

Mit dem Kyoto-Protokoll hat sich im Jahr 1997 eine internationale Staatengemeinschaft erste verbindliche Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen gesetzt. Für die Zeit nach 2020 vereinbarten die Vertragsparteien das Übereinkommen von Paris. Dieses sieht vor, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der Ausstoss von CO2 und anderen schädlichen Klimagasen bis 2050 auf Netto-Null gesenkt werden.

Auch die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Durch das Nein zum CO2-Gesetz sind viele Bemühungen hin zu einer saubereren und gerechteren Energiepolitik wieder zunichte gemacht worden. Dennoch: Die Klimaziele behalten ihre Gültigkeit.

«Abwarten ist der falsche Weg»

Daniel Gstöhl, Studienleiter des MAS in Energiesysteme an der OST, hat sich in seiner beruflichen Laufbahn fundiert mit Energiefragen auseinandergesetzt. Für ihn ist klar, dass es in Sachen Klimaschutz keinen Aufschub mehr duldet: «Je früher man damit beginnt, Emissionen zu reduzieren, desto geringer fallen die Kosten aus und desto weniger drastische Massnahmen sind notwendig», sagt er. «Abwarten ist der falsche Weg.»

Aus wissenschaftlicher Sicht sei es eher spät, das Netto-Null-Ziel erst bis 2050 zu erreichen, sagt der Professor. Betrachte man aber den Ist-Zustand, handle es sich um einen überaus ambitionierten Zeitplan. «Der weltweite Energieverbrauch steigt weiterhin an und knapp 90 Prozent des Bedarfs werden derzeit noch durch Quellen gedeckt, die nicht erneuerbar sind.»

Fossile Brenn- und Treibstoffe: Haupttreiber des Klimawandels

Ob Industrie, Verkehr oder Haushalte: Sämtliche Bereiche unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens kommen derzeit nicht ohne fossile Brenn- und Treibstoffe aus. Diese Energieträger sind jedoch hauptverantwortlich für die schädlichen Treibhausgas-Emissionen und den damit verbundenen Klimawandel. «Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist nach wie vor sehr hoch», sagt Daniel Gstöhl. Nicht sehr hoch sei hingegen das Bewusstsein für die Tragweite der notwendigen Klimaziele. «Wollen wir den CO2-Ausstoss auf null reduzieren, dürfen wir keine Kohle, kein Erdöl und kein Erdgas mehr verbrennen». Und selbst nach einer solchen Kehrtwende sei das Kohlenstoffdioxid noch nicht ganz aus der Welt, erklärt er. So verursache beispielsweise auch die Landwirtschaft Treibhausgase. «Diese Emissionen muss man kompensieren, indem man CO2 aus der Atmosphäre herausnimmt – etwa durch CO2-Abscheidung bei Kehrichtverbrennungsanlagen.»

Keine Utopie, sondern eine Notwendigkeit

Für eine Utopie hält Daniel Gstöhl das Klimaziel Netto-Null aber nicht. Vielmehr erachtet er eine entsprechende Energiestrategie der Schweiz als Notwendigkeit, an der kein Weg vorbeiführt. Fossile Energieträger zu ersetzen, werde zu einer grossen Herausforderung, so der Dozent für Strömungslehre und Thermodynamik. Auch deshalb, weil erneuerbare Energien nicht steuerbar seien. «Dennoch müssen wir das System umkrempeln», sagt er. Grosse Potential sieht er in der Solarenergie. Die Schweiz schöpfe dieses Potential noch zu wenig aus, so sein Eindruck. «Es wären aber viele Dächer und Infrastrukturflächen wie beispielsweise Lärmschutzwände vorhanden, die man für Photovoltaik-Anlagen nutzen könnte.» Gute Voraussetzungen habe die Schweiz auch wegen der Wasserkraft.

Die Schweiz als Vorreiterin

Was Verkehr und Treibstoffe anbelangt, sieht Gstöhl den Schlüssel in der Elektromobilität. Diese muss seiner Einschätzung nach noch mehr Fahrt aufnehmen. «Wir sind erst am Beginn der breiten Anwendung», sagt er. Überhaupt trage die Elektrifizierung massgeblich zur Zielerreichung bei. «Dank ihr können wir Energie viel effizienter nutzen.» Während bei einem Verbrennungsmotor drei Viertel der Energie verpuffe, betrage die Effizienz bei einem Elektromotor rund 90 Prozent.

Auch bei den Gebäuden gelte es, von fossiler Energie loszukommen, so Gstöhl. Er hofft, dass Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer Heizöl-Anlagen vermehrt die kalte Schulter zeigen und stattdessen mit Wärmepumpen warm werden. «Diese erneuerbare Technologie verfügt über einen sehr hohen Wirkungsgrad», sagt er.

Bei der Umstellung auf saubere Energie handle es sich um eine Mammutaufgabe, die jedoch machbar sei, sagt Daniel Gstöhl. Zumindest technisch. «Eine wichtige Voraussetzung ist aber der Wille der Politik und jedes einzelnen Individuums». Er ist überzeugt, dass die Schweiz wesentlich zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen kann – auch durch ihre Rolle als Vorreiterin.

 Eine Frage der Gerechtigkeit
Um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, darf die Weltbevölkerung bis 2050 höchstens noch 420 Gigatonnen CO2 ausstossen (IPCC 2018). Daniel Gstöhl vergleicht dieses Kohlenstoffbudget stets mit einem bereits angeschnittenen Kuchen, der bald aufgegessen sein wird. «Hierbei stellt sich die Frage, wer Anspruch auf den Rest hat und wie wir diesen noch fair verteilen», sagt er. Deshalb sei die Klimathematik immer auch mit ethischen Fragestellungen verbunden. «Derzeit ist es aber so, dass diejenigen Länder, die das kleinste Stück des Kuchens abbekommen, am meisten unter den Folgen des CO2-Austosses leiden», so Gstöhl. Zudem würden die Kosten für Umweltschäden nicht den Verursachern verrechnet, sondern auf die Allgemeinheit abgewälzt. Kurzum: Wer umweltfreundlich leben wolle, müsse im Moment viel Geld und Idealismus aufbringen, während man bei der Nutzung umweltschädlicher Technologien vergleichsweise günstig wegkomme. «Hier brauchen wir dringend Kostenwahrheit.»

Dieser Beitrag basiert auf dem Webinar «Energie 100% erneuerbar?» aus der Webinarreihe «Klüger am Abend» der Weiterbildung OST.