Die Globalisierung hat zu einer derart intensiven Vernetzung in allen Gesellschaftsbereichen geführt, dass das Zusammenarbeiten und -leben über kulturelle Grenzen hinweg einerseits als normal, aber andererseits auch als herausfordernd erlebt wird. Wie schaffen wir es, uns in dieser immer komplexeren Welt zurechtzufinden und dabei produktiv und friedlich miteinander umzugehen? Nur guter Wille reicht dafür nicht aus. Für die Zukunft benötigen wir interkulturelle Kompetenz.
Von Prof. Dr. Stefan Kammhuber
In einer sich rasant wandelnden Welt wird eins immer gewisser: Unser Gefühl der Ungewissheit. Wie wird die Arbeitswelt nach weiteren zehn Jahren der Globalisierung und Digitalisierung aussehen? Welche Anforderungen werden daraus an das gesellschaftliche Miteinander, sowohl im Alltag als auch beim Arbeiten, erwachsen? Sicher ist, dass die klassischen, bislang halbwegs stabilen Ausbildungs- und Erwerbsbiografien immer weiter abgelöst werden durch flexiblere Muster der Lebensweggestaltung – vor allem auch in Tätigkeitsfeldern, die heute noch gar nicht bekannt oder gerade erst im Entstehen sind. Das nehmen einige als Chance wahr, für andere ist diese neue VUCA-Welt (Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous) vor allem beängstigend. Sind wir dem gewachsen?
Mehr als Offenheit und Akzeptanz
Schulen und Hochschulen setzen deshalb auf eine intensivere Ausbildung von überfachlichen Kompetenzen, wie zum Beispiel Selbstmanagement-Fähigkeiten, Informations-, Kommunikations- und Teamkompetenzen. So sollen Schüler und Schülerinnen sowie Studierende rechtzeitig darauf vorbereitet werden, mit neuen Situationen in sich ständig verändernden Kontexten flexibler und produktiver umzugehen. Eine für die VUCA-Welt zentrale Kompetenz ist in diesem Zusammenhang die interkulturelle Kompetenz. Das ist die Fähigkeit, sich in neuen und anderen Kontexten schnell zurechtzufinden, Unklarheiten auszuhalten, andere Perspektiven einnehmen und verstehen zu können sowie aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ein gemeinsames Handeln zu entwickeln. Das ist mehr als eine generelle Offenheit oder Akzeptanz gegenüber anderen (fremden) Menschen. Interkulturelle Kompetenz bedarf vielmehr
- eines fundierten Wissens um eigene und fremde kulturelle Orientierungsmuster
- einer wertschätzenden Haltung, dass auch mir fremdes Verhalten einer inneren Logik folgt, selbst wenn ich diese nicht für gut befinde oder teile,
- einer Flexibilität im Handeln und der Fähigkeit, die Folgen des eigenen Handelns angemessen einschätzen zu können.
Dazu muss ich die Komfortzone des «Dorfs in meinem Kopf» verlassen, mich neuen Erfahrungen stellen und lernen, diese Erfahrungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und reflektieren zu können. Diese Idee, die inzwischen durch einen ungeheuren Schatz an wissenschaftlichen Erkenntnissen der interkulturellen Forschung fundiert wurde, schliesst an gute Schweizer Traditionen an, sei es bei den Handwerksgesellen, die ihre Lehrjahre auf der Walz verbrachten oder den industriellen Innovatoren, wie z.B. H.C. Escher oder die Brüder Sulzer, die erst durch ihre Aufenthalte in Frankreich, England und Deutschland in der Lage waren, bahnbrechende technologische Innovationen zu entwickeln und umzusetzen.
Brücken schlagen zwischen gesellschaftlichen Gruppen
In der Gegenwart, in der jede Erfahrung per Klick sofort verfügbar erscheint und sich das irrige Gefühl einstellt, über alles Bescheid zu wissen, ist der Wert der tatsächlichen interkulturellen Erfahrung verblasst. Sind wir nicht alle bereits Global Player, weltoffen und verfügen über ausreichend «gesunden Menschenverstand», um uns überall zu behaupten? Oder überschätzen wir uns einfach nur? Die Forschung weist eher auf letzteres hin.
Je früher interkulturelles Lernen qualifiziert begonnen wird, z.B. im multikulturellen Umfeld der eigenen Schule oder Hochschule, in einem Mobilitätsprogramm der Berufsbildung, einem Schüleraustausch, einem Auslandssemester, umso leichter fällt später die Zusammenarbeit im multinationalen Projektteam, die Gestaltung der Usability von Produkten für neue Zielgruppen in anderen Märkten, der Umgang mit kultureller Vielfalt in Gesundheits- oder Pflegeeinrichtungen, oder auch in Polizei und Militär. Die interkulturelle Forschung zeigt deutlich, dass in der praktischen Zusammenarbeit ein grosser Lernbedarf entsteht, um in der Zusammenarbeit ans Ziel zu kommen, tragfähige Beziehungen aufzubauen und sich dabei wohlzufühlen.
Nicht zuletzt kann interkulturelle Kompetenz dabei helfen, Brücken zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu schlagen und der immer deutlicher zu erkennenden Polarisierung unserer Gesellschaft entgegenzuwirken.
CAS Interkulturelle Kompetenz: Sich entwickeln – Andere fördern – Impulse setzen
Die OST – Ostschweizer Fachhochschule bietet neu den CAS Interkulturelle Kompetenz an. In diesem Lehrgang entwickeln die Teilnehmenden ihre eigene interkulturelle Kompetenz weiter, lernen aber auch, wie sie interkulturelle Kompetenz bei anderen fördern und in ihrer Organisation, ihrem Unternehmen oder ihrer Institution als interkulturelle Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wirken können.