Wie gelingt es, Führungspositionen bei der Polizei vermehrt mit Frauen zu besetzen? Mit dieser Frage hat sich Anjan Sartory im Rahmen seiner Masterarbeit auseinandergesetzt. Der Absolvent des Executive MBA leitet seit November 2019 den Bereich Sicherheit bei der Stadtpolizei St.Gallen. Er ist verantwortlich für 145 Mitarbeitende, davon 116 uniformierte Polizistinnen und Polizisten, die täglich an der Front unterwegs sind. Im Interview spricht er darüber, warum hierarchische Strukturen kein Hinderungsgrund für die Frauenförderung sind und was er über eine Frauenquote bei der Stadtpolizei denkt.
Interview:
Woher kommt Ihr Interesse an der Frauenförderung?
Die Frauenförderung ist ein aktuelles Thema, das Politik und Gesellschaft bewegt. Ich habe im privaten Rahmen schon einige interessante Diskussionen darüber geführt, befasse mich aber auch beruflich intensiv damit. Kurz vor meinem Stellenantritt ist die «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» als strategisches Ziel der Stadtpolizei St.Gallen festgehalten worden. Dieses Ziel umfasst unter anderem die «Förderung von Frauen in Führungspositionen». In meiner Masterarbeit konnte ich mich mit diesem notwendigen Thema auseinandersetzen und konkrete Massnahmen ausarbeiten. Ich wusste, dass ich in dieser Thematik etwas bewirken kann.
Ihre Masterarbeit ist auch im Kontext einer politischen Forderung zu sehen, wonach die Stadt in allen Bereichen – also auch bei der Stadtpolizei – eine Frauenquote von 50 Prozent in Kader- und Führungspositionen als Ziel festlegen soll. Was halten Sie davon?
Die Einführung einer solchen Quote macht aus meiner Sicht keinen Sinn für die Stadtpolizei. Denn es fehlt schlicht an Frauen mit erforderlichem Erfahrungsrucksack. Das zeigt sich in meinem Bereich etwa bei der Frontpolizei. Diese zählt 116 Angehörige. Darunter 18 Frauen. Müssten wir die Hälfte aller Führungspositionen – es sind derzeit 39 – mit Frauen besetzen, würde das heissen, dass alle 18 bei uns tätigen Polizistinnen eine solche Position übernehmen müssten. Unabhängig davon, ob sie die Qualifikationen dafür besitzen und überhaupt wollen. Mir ist es ein Anliegen, mich für die Gleichstellung einzusetzen. Es braucht aber Zeit, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Zwang ist aus meiner Sicht der falsche Weg.
Wie viele der 18 Polizistinnen haben derzeit eine leitende Funktion inne?
Von den 18 Polizistinnen haben drei eine Fachführung – zum Beispiel im Bereich Verkehrsinstruktion oder Jugendpolizei. Eine weitere hat neu eine Stelle in der Personalführung übernommen.
Müsste die Polizei vielleicht von ihrer hierarchischen Struktur loskommen, um den Frauenanteil generell und jenen in Führungspositionen zu erhöhen?
Es ist nicht so, dass Polizeiangehörige nicht mitreden und selbst denken dürfen. Zum Beispiel werden sie bei Projekten im Sinne eines demokratischen Entscheidungsprozesses miteinbezogen. Im Alltag handeln die Polizistinnen und Polizisten zudem selbstbestimmt und entsprechend ihrer professionellen Handlungslogik. Stehen jedoch Grosseinsätze an, geht es darum, Menschen zu schützen und Schäden zu verhindern. Wir müssen in der Lage sein, unter grossem Zeitdruck zu reagieren. In diesem Umfeld ist eine hierarchische Struktur mit einer klaren Führung notwendig. Würden Polizistinnen und Polizisten die Entscheidungen von Vorgesetzten in solchen Situationen hinterfragen, hätte das verheerende Folgen.
Aber haben es Frauen in hierarchisch strukturierten Organisationen wie der Polizei nicht grundsätzlich schwerer, führende Positionen einzunehmen?
Grundsätzlich ist es für all jene Personen anspruchsvoller, die nicht in einer hierarchischen Organisation «aufgewachsen» sind. Das trifft aber beispielsweise auch auf Männer zu, die keinen Militärdienst geleistet haben.
Woran liegt es dann, dass nur wenige Frauen in Führungspositionen anzutreffen sind?
Ein Grund ist, dass sich grundsätzlich nur wenige Frauen für den Polizeiberuf entscheiden. Dazu kommt, dass viele dann, wenn sie das notwendige Dienstalter für eine Führungsposition erreichen, mit der Familienplanung beginnen und beruflich kürzertreten. Eine zentrale Rolle spielt aber sicherlich auch die von Stereotypen und Ritualen geprägte Kultur, die auch bei der Polizei zu beobachten ist. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich Interviews mit Führungsfrauen aus verschiedenen Bereichen geführt. Sie erwähnten beispielsweise die unterschiedliche Selbstdarstellung von Frauen und Männer als Stolperstein. Während sich Männer eher «aufplustern», verkaufen sich Frauen unter ihrem Wert. Auch stark verwurzelte Rollenbilder und -muster sowie die besonders intensive Netzwerkbildung unter Männern wurden als hinderliche Faktoren genannt.
Was muss sich an dieser Kultur verändern, damit Frauenförderung nachhaltig gelingt?
Es muss eine glaubwürdige, positive Stimmung, eine Willkommenskultur aufgebaut werden. Denn Frauenförderung beginnt im Kopf. Dazu braucht es viel Sensibilisierungsarbeit und letztlich die Überzeugung auf allen Ebenen, dass das Unternehmen mit qualifizierten Frauen lebendiger, vielfältiger und breiter in seiner Sichtweise wird. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Unterstützung und Vorbildhaltung der kompletten Korpsleitung, die interne Förderung von Diversität und die öffentliche Darstellung dieser Diversität. Es bedarf aber auch einer «Null-Toleranz-Haltung» in Bezug auf fehlbare Äusserungen und Handlungen gegenüber Frauen und Minderheiten. Um das alles zu erreichen, muss das Thema Frauenförderung klar in der internen Strategie festgehalten werden.
Welchen Vorteil bringt die Geschlechterdurchmischung auf Führungsebene der Polizei als Organisation?
Wenn Männer und Frauen in Führungspositionen vertreten sind, können wir einerseits von unterschiedlichen Kompetenzen profitieren, andererseits aber auch verschiedene Blickwinkel berücksichtigen.
Sie haben aus den Erkenntnissen verschiedene Massnahmen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen abgeleitet. Inwiefern werden diese nun umgesetzt?
Insgesamt habe ich 27 Massnahmen festgehalten, von denen sich nun bereits ein Teil in Umsetzung befindet. Eine Massnahme war beispielsweise, die Lohngleichheit zu überprüfen respektive bestätigen zu lassen. Dies ist bereits erfolgt und es wurden keine Unterschiede festgestellt. Ebenfalls ein Beispiel ist, Auswahlkriterien für Personalführungspositionen und Spezialfunktionen gendergerecht zu formulieren. Aus einer weiteren Massnahme resultierte das Projekt «Equal Leadership», das wir in Zusammenarbeit mit der OST – Ostschweizer Fachhochschule lanciert haben. Es wurde ein Gesuch beim Bund eingereicht und die Stadtpolizei Winterthur und Verbände sind als Partner miteinbezogen worden. Zudem entstand auf Grundlage meiner Erkenntnisse eine weitere Masterarbeit zum Thema «Führungskultur bei der Stadtpolizei – Stärken und Herausforderungen». Es ist schön zu sehen, dass es so aktiv vorwärts geht.