Globale Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit erfordern auch in der Wirtschaft ein Umdenken. Im Interview spricht Michael Gino Kraft, Kursleiter CAS Nachhaltigkeitsmanagement und Dozent für nachhaltiges Management am Institut für Organisation und Leadership (IOL) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, über die Chancen und Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft sowie über die Bereitschaft der Unternehmen und Menschen, dieses Modell anzunehmen.
Interview: Marion Loher
Herr Kraft, wie weit sind Schweizer Unternehmen bei der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft?
Michael Gino Kraft: Es kommt darauf an, wie man Kreislaufwirtschaft definiert. Wird sie als ganzheitlichen Prozess gesehen, dann sind wir nicht weit. Sagen wir aber, es reicht schon, wenn bestimmte Produkte länger im Kreislauf gehalten werden oder Recycling angeboten wird, dann sind wir etwas weiter. Die Textilindustrie und der Lebensmittelhandel sind Branchen, die schon weit fortgeschritten sind.
Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft ist aber nicht neu.
Stimmt, im 18. Jahrhundert, vor der ersten industriellen Revolution, gab es so etwas wie Abfall nicht. Alle Produkte, die man konsumierte, wurden in den Zyklus zurückgebracht. Heute haben wir eine lineare Wirtschaft, auch Wegwerfwirtschaft genannt, und wir versuchen wieder in eine Kreislaufwirtschaft überzugehen.
Was ist das Problem der linearen Wirtschaft?
Ihr Erfolg. Mithilfe der linearen Wirtschaftsweise haben wir es weltweit geschafft, vielen Menschen Arbeit zu geben. Das ermöglicht ihnen ein gewisses Einkommen und den einzelnen Ländern eine bestimmte Prosperität. Das Problem dabei ist, dass wir Prozesse und Strukturen etabliert haben, die nicht so schnell verändert werden können. Auch unsere Denkweise bringen wir nicht so schnell weg. Warum soll ich etwas hinterfragen, wenn ich Erfolg damit habe? Alle Industriestaaten sind stark linear geprägt und befinden sich somit in der Erfolgsfalle. Dieses System umzukrempeln, beinhaltet eine grosse Unsicherheit, da es auch schief gehen könnte. Und Unsicherheit ist das erste, das Unternehmerinnen und Unternehmer versuchen zu vermeiden.
Wie können sie trotzdem für die Kreislaufwirtschaft motiviert werden?
Ihnen muss aufgezeigt werden, dass sich durch die veränderten Denk- und Verhaltensweisen neue Möglichkeiten auf den Märkten ergeben. Diese zu erschliessen oder zumindest darüber nachzudenken, kann vor dem Hintergrund verändernder Marktbedürfnisse, sinnvoll sein.
Worum geht es bei diesem Wirtschaftsmodell?
Die Kreislaufwirtschaft wird oft mit Abfallmanagement gleichgesetzt. Doch sie ist mehr als Recycling. Ziel ist, keine Rohstoffe, Materialien und Ressourcen zu verbrauchen, sondern sie immer wieder in technische oder biologische Kreisläufe zu integrieren. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus der Produkte verlängert. Insbesondere für technische Kreisläufe können Unternehmen und Wirtschaft einen substanziellen Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen.
Welche Möglichkeiten gibt es?
Produkte können beispielsweise repariert, wiederaufbereitet oder recycelt werden, einzelne Materialien entzogen und in andere Produkte integriert werden. Jedes Unternehmen kann Gedanken von Kreislaufwirtschaft integrieren. Wichtig ist, dass sie agieren, also proaktiv etwas gestalten, und nicht immer nur auf Vorgaben reagieren. Durch das Management der Kreislaufwirtschaft kann sich die Rolle des Unternehmens ändern. Vormals als reines Produzentenunternehmen werden neue Möglichkeiten geschaffen, zunehmend als Dienstleistungsunternehmen nahe am Kunden zu sein. Das Ganze bedingt aber, dass zum einen darüber nachgedacht wird, wie die gesamte Wertschöpfungskette neugestaltet werden kann, und zum anderen, ob die Kundinnen und Kunden dies auch wollen. Also, ob sie ein solches Modell im Sinne einer Preiserhöhung akzeptieren.
Heisst das, die Produkte werden bei der Kreislaufwirtschaft immer teurer?
Nein, Kreislaufwirtschaft ist nicht mit Preiserhöhung gleichzusetzen. Es kann dazu führen, muss aber je nach Ausgestaltung nicht.
Lohnt es sich für die Unternehmen finanziell?
Es gibt einen Markt, das sehen wir vor allem an den Unternehmen mit nachhaltigem Geschäftsmodell. Allerdings ist es abhängig vom Produkt oder vom jeweiligen Segment. Aber es ist bereits heute möglich und wird auch in Zukunft möglich sein, mit der Kreislaufwirtschaft Gewinne zu erwirtschaften.
Wo sind die Grenzen der Kreislaufwirtschaft?
Für jedes Unternehmen gibt es Grenzen der Machbarkeit. Kreislaufwirtschaft muss nicht immer bedeuten, überhaupt keinen Abfall zu produzieren, sondern so lange wie möglich die Nutzungsdauer aufrechtzuerhalten. Da ist auch Kreativität gefragt. Je mehr Gesetze und Verordnungen es jedoch gibt, desto stärker wird diese Kreativität eingeschränkt, und das Risiko für Greenwashing – sich ohne Massnahmen besonders umweltbewusst darzustellen – steigt.
Wie gross ist das Interesse der Unternehmen, etwas ändern zu wollen?
Mit unserem Institut sind wird derzeit daran, dies herauszufinden. Wir bauen eine Erfahrungsgruppe mit KMU aus der Ostschweiz auf, die sich über Nachhaltigkeitsthemen austauscht. Das erste Treffen ist im Frühling 2023 geplant. Dabei wird die Kreislaufwirtschaft im Fokus stehen. Die Unternehmen sind interessiert, obschon das Thema nicht zuoberst auf ihrer Prioritätenliste steht. Ich denke aber, dass wir in den nächsten zwei Jahren einen deutlichen Sprung erleben werden; sowohl bei den Geschäftsmodell-Innovationen als auch bei den Kollaborationen zwischen den Firmen.
Sind die Menschen in Zeiten von Bequemlichkeit und Wegwerfmentalität bereit dazu?
Viele wissen gar nicht, dass sie schon Kreislaufwirtschaft betreiben. Car-Sharing ist so ein Beispiel. Aber klar, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Bewährte Strukturen sind nur schwer aufzubrechen. Das Problem ist, dass Nachhaltigkeitsthemen oft Ideologie getrieben sind. Mit dem moralischen Zeigefinger bekommt man die Menschen aber nicht überzeugt. Ihnen muss der Nutzen deutlich aufgezeigt werden. Mit der Kreislaufwirtschaft kann am Ende Geld gespart und Nachhaltigkeit im Alltag erlebbar gemacht werden.
CAS Nachhaltigkeitsmanagement
Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und demografische Veränderungen erfordern, dass Nachhaltigkeitsthemen zunehmend in die Unternehmenspraxis integriert werden. Der CAS Nachhaltigkeitsmanagement unterstützt Fach- und Führungspersonen darin, die nachhaltige Transformation zur Umsetzung der globalen «Entwicklungsagenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» proaktiv mitzugestalten.