So individuell wie der Mensch ist auch die Kommunikation

29. März 2023

Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Bedürfnisse in der Kommunikation. Für Schulsozialarbeitende ist es deshalb wichtig, dass sie ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre kommunikative Beziehungsarbeit haben. In der individuellen Beziehungsgestaltung sollen sie auch auf die geschlechtliche, romantische und sexuelle Vielfalt sensibilisiert sein.

Von Marion Loher

Ein Studierender der Sozialen Arbeit wird während einer mündlichen Prüfung gefragt, wie er sich eine Gesprächssituation mit einem zehnjährigen Kind, das in der Schule Verhaltensauffälligkeiten zeigt, vorstelle und worauf er besonders achten würde. Nach einem Moment des Nachdenkens sagt der junge Mann leicht irritiert, dass es ziemlich schwierig sei, mit einem zehnjährigen Kind ein Gespräch zu führen. Er habe vielmehr an ein Gespräch mit den Eltern gedacht.

Dieses Beispiel aus der Praxis ist kein Einzelfall. «Fachpersonen erwähnen immer wieder Unsicherheiten und teilweise Überforderungsgefühle, wenn es darum geht, mit Kindern ein Gespräch zu führen – auch bei den Schulsozialarbeitenden», sagt Simone Hengartner, Dozentin am Institut für Soziale Arbeit im Lebenslauf (ISAL) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. In der Schule wird den Kindern viel Wissen vermittelt. Sie werden befragt, informiert und aufgefordert, etwas zu erledigen. «Weniger häufig hingegen kommt es zu einer gleichwertigen, wechselseitigen Verständigung, beispielsweise über Gefühle oder die Wahrnehmung von bestimmten Situationen», sagt Hengartner. Oft würden die Kinder diesbezüglich nicht ernst genommen, und es werde von ihnen eine Anpassung ihrer charakterlichen Eigenschaften erwartet. Sei dies aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen oder strukturellen Bedingungen. «Solche Anpassungsleistungen erfordern viel Energie», sagt die Dozentin, «und genau diese Energie fehlt den Kindern dann für die Entfaltung ihrer wahren Potenziale.»

«Fachpersonen erwähnen immer wieder Unsicherheiten und teilweise Überforderungsgefühle, wenn es darum geht, mit Kindern ein Gespräch zu führen – auch bei den Schulsozialarbeitenden.»

Simone Hengartner Thurnheer
Dozentin am Institut für Soziale Arbeit im Lebenslauf (ISAL) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Damit Schulsozialarbeitende den individuellen Bedürfnissen in der Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen gerecht werden können, benötigen sie ein ausgeprägtes Bewusstsein für die wirkungsvolle Gesprächsführung. Bei der individuumszentrierten Beziehungsgestaltung geht es nach Ansicht von Simone Hengartner um die Förderung von Lebenskompetenzen, unabhängig von Alter oder Geschlecht eines Menschen. In einem ersten Schritt sei es immer wichtig, der Person gegenüber «Respekt und Wertschätzung für ihre Schönheit und Unvollkommenheit» entgegenzubringen. Dies würde einem Beziehungsaufbau sehr dienen. «Alle Menschen sind verschieden, deshalb muss auch die Beziehungsarbeit individuell sein.»

«Anderssein» ist eine Belastung

Ein wichtiger Teil dieser individuumszentrierten Beziehungsgestaltung ist ein gekonnter Umgang mit geschlechtlicher, romantischer und sexueller Vielfalt. Dabei wird oft auch von queer oder Queerness gesprochen. Das Wort stammt aus dem englischen und wird häufig dann verwendet, wenn etwas von der Norm abweicht. In der jüngeren Vergangenheit fand queer in der LGBT+ -Bewegung – LGBT+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans und eine nicht abgeschlossene Aufzählung – eine neue positive Verwendung. Queer wird als Bezeichnung für alle sexuellen und romantischen Orientierungen sowie Geschlechtsidentitäten verwendet, die nicht der cis-hetero Norm von Geschlecht, Sexualität und Romantik zuzuordnen sind.

«Die Depressions- und Suizidrate bei queeren Menschen ist deutlich höher als bei der vergleichbaren Bevölkerung.»

Timo Jost
Fachperson von du-bist-du

Statistisch gesehen gibt es gemäss dem Programm «du-bist-du» von Sexueller Gesundheit Zürich und dem Checkpoint Zürich 1 bis 2 homosexuelle oder bisexuelle Schüler/innen pro Klasse, 1 trans Schüler/in in jeder vierten Klasse und 1 asexuelle/r oder aromantische/r Schüler/in in jeder vierten Klasse sowie 1 intergeschlechtliche/r Schüler/in pro 200 Schüler/innen. «Das sind doch recht viele», sagt Timo Jost, Fachgruppenmitglied des du-bist-du-Teams. Oft seien diese Kinder und Jugendlichen unsichtbar. «Deshalb sollten Lehrpersonen und gerade auch Schulsozialarbeitende diese Zahlen im Hinterkopf behalten und sie bei ihrer Arbeit mitdenken und berücksichtigen.» Viele junge LGBTQ-Menschen würden ihr «Anderssein» aus Angst vor Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt verheimlichen. Leider sei es «traurige Realität», dass Queerness oder queer sein auf die psychische Gesundheit schlage. «Die Depressions- und Suizidrate bei queeren Menschen ist deutlich höher als bei der vergleichbaren Bevölkerung», sagt die Fachperson von du-bist-du.

Mehr queeres Bewusstsein

Deshalb ist es wichtig, das queere Bewusstsein der Professionellen zu stärken. Dafür gibt es laut Timo Jost verschiedene Möglichkeiten wie die Hetero- und Cisnormativität zu hinterfragen, unreflektierte respektive unwillentliche Diskriminierung zu vermeiden, die queer-freundliche Einstellung bewusst und aktiv zum Ausdruck zu bringen sowie die queere Liebes- und Lebensweise als Alternative zu akzeptieren. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern rät die Fachperson ausserdem, sich zu überlegen, wie sie ihre Settings inklusiver gestalten könnten, damit sich auch queere Menschen wohlfühlten.

Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Community-Anlass Schulsozialarbeit, der zum Thema «Eine Frage der Beziehung! Worauf individuumszentrierte Schulsozialarbeit in der Beziehungsgestaltung achtet» stattfand.

CAS Schulsozialarbeit – Fokus Kinderrechte und Kooperation

Die Schulsozialarbeit bietet eine niederschwellige und beziehungsorientierte Anlaufstelle im schulischen Alltag. Eine Tätigkeit in diesem komplexen Handlungsfeld der Sozialen Arbeit setzt spezifisches Wissen und Können voraus. Der CAS Schulsozialarbeit vermittelt entlang der Kinderrechtskonvention professionelle Kompetenzen und fördert die Kooperation zwischen Berufseinsteigenden und schulischen, schulnahen sowie familienergänzenden Fachstellen.