Stressabbau ist nicht nur Privatsache

29. Februar 2024

Stress kann langfristig psychisch und physisch krank machen. Ob und in welchem Ausmass, ist unter anderem von den eigenen Bewältigungsstrategien abhängig. Aber auch Unternehmen haben es massgeblich in der Hand, Mitarbeitende in ihrem Wohlbefinden zu fördern. Nur liegt der Fokus in der Arbeitswelt gemäss Einschätzungen von Fachleuten immer noch stark auf der körperlichen Gesundheit und Sicherheit. Die psychische Gesundheit ist nach wie vor ein Tabuthema.

Hohe Arbeitsbelastung, Erwartungsdruck, ständige Erreichbarkeit durch neue Technologien, globale Krisen, finanzielle Schwierigkeiten: Die Liste an Stressoren, die das Leben heute prägen, ist lange. Im Stress zu sein oder Stress zu haben, ist in unserer Gesellschaft alltäglich – oft mit Folgen für Körper und Geist. Die WHO bezeichnet Stress als eine der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts.

Manuel P. Stadtmann, Leiter des Kompetenzzentrums für psychische Gesundheit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, hat sich sowohl im klinischen Bereich als auch in der Forschung umfassend mit dem Thema Stress auseinandergesetzt. «Stress ist nicht per se schädlich», sagt er. Es handelt sich um eine normale Reaktion des Körpers auf herausfordernde Situationen. Kurzfristiger Stress kann anspornend wirken.» Hingegen stehe chronischer Stress in Verbindung mit einer Reihe gesundheitlicher Probleme, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Störungen. Symptome wie übermässige Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, anhaltende Ängste oder depressive Verstimmungen können Warnsignale sein. Gleiches gilt für physische Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen oder erhöhten Blutdruck.

«Für die psychische Widerstandsfähigkeit ist auch die Fähigkeit entscheidend, Probleme konstruktiv anzugehen oder Perspektivenwechsel zu praktizieren. Jedoch müssen wir aufpassen, die Verantwortung nicht auf Individuen zu verlagern, wenn die Strukturen suboptimal sind.»

Prof. Dr. Manuel P. Stadtmann
Leiter des Kompetenzzentrums für psychische Gesundheit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Ab wann Stress die Gesundheit gefährde, hänge von dessen Intensität und Dauer, aber auch von der Fähigkeit zur Stressbewältigung ab, so Manuel P. Stadtmann.

Mittel zu einem besseren Umgang mit Stress

Es gibt Wege, um die eigene Widerstandskraft gegen Stress zu stärken und damit zu verhindern, dass sich dieser negativ auf die eigene Gesundheit auswirkt. Ein gutes Fundament bilden gemäss Manuel P. Stadtmann regelmässige körperliche Aktivität, ausgewogene Ernährung sowie ausreichend Schlaf. Für die emotionale Stabilität seien sozialer Austausch und zwischenmenschliche Beziehungen von grossem Wert. «Auch kreatives Schaffen oder Hobbys im Allgemeinen können ein Ventil für Stressabbau sein.» Als äusserst hilfreich hätten sich zudem Achtsamkeitstraining, Meditation und progressive Muskelrelaxation erwiesen. «Die Kombination all dieser Massnahmen und Techniken unterstützt eine umfassende Stressbewältigung und fördert das allgemeine Wohlbefinden», sagt Stadtmann, der unter anderem den CAS Stress und Stressmanagement an der OST leitet.

Für die psychische Widerstandsfähigkeit sei auch die Fähigkeit entscheidend, Probleme konstruktiv anzugehen oder Perspektivenwechsel zu praktizieren, so der Professor. «Jedoch müssen wir aufpassen, die Verantwortung nicht auf Individuen zu verlagern, wenn die Strukturen suboptimal sind.»

In betriebliches Gesundheitsmanagement investieren

Solch suboptimale Strukturen bestehen etwa dann, wenn Arbeitnehmende einer dauerhaft hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind. Der Job-Stress-Index 2022 von Gesundheitsförderung Schweiz zeigt, dass fast 30 Prozent der Erwerbstätigen über mehr Belastungen als Ressourcen berichten. Sie erleben beispielsweise mehr Zeitdruck oder auch mehr Konflikte am Arbeitsplatz und erhalten weniger Handlungsspielraum oder allgemeine Wertschätzung.

Um Arbeitnehmende nachhaltig zu unterstützen, sei es für Unternehmen essenziell, in ein betriebliches Gesundheitsmanagement zu investieren, sagt Stephan Melliger, der über langjährige Erfahrung als Case Manager verfügt und den CAS Case Management an der OST leitet. «Zu diesem betrieblichen Gesundheitsmanagement gehört es, klare Erwartungen und Rollen festzulegen, Ressourcen und Unterstützung bereitzustellen sowie eine flexible Arbeitseinteilung und Pausen zu ermöglichen.» Eine weitere wichtige Massnahme sei die Förderung der Work-Life-Balance mit einer Begrenzung der Überstunden sowie genügend Freiraum für Erholung, Entspannung und Freizeitaktivitäten. Zudem gelte es, Schulungen und Sensibilisierungsmassnahmen anzubieten und Strategien zur Stressbewältigung zu vermitteln, so Melliger. Ebenfalls brauche es Programme zur Früherkennung von psychischen Erkrankungen und zur Unterstützung Betroffener, ein gut funktionierendes Absenzmanagement sowie ein Case Management, um Personen, die längere Zeit ausgefallen sind, bei der beruflichen Wiederintegration zu begleiten.

Angst vor Stigmatisierung und beruflichen Konsequenzen

Nicht immer ist die Arbeit Stressauslöser. Auch private Herausforderungen haben einen Einfluss aufs Erwerbsleben. «Bei Auszubildenden ist es oft der Umgang mit sozialen Medien, bei jungen Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und bei älteren Mitarbeitenden die Pflege der Eltern», sagt Stephan Melliger. «Diese Belastungsfaktoren wirken sich auf die Leistungsfähigkeit, die Anwesenheit und das Verhalten der Mitarbeitenden aus.» Deshalb lohne es sich für Unternehmen auch betriebswirtschaftlich, Unterstützung anzubieten, etwa in Form einer internen oder externen betrieblichen Sozialberatung.

«Bei Auszubildenden ist oft der Umgang mit sozialen Medien Stressauslöser, bei jungen Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und bei älteren Mitarbeitenden die Pflege der Eltern.»

Stephan Melliger
Kursleiter CAS Case Management an der
OST – Ostschweizer Fachhochschule

Er beobachte jedoch, dass sich viele Unternehmen ausschliesslich auf die körperliche Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz konzentrieren und dabei die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden vernachlässigen, so Melliger Gemäss Manuel P. Stadtmann wächst zwar das Bewusstsein für die psychische Gesundheit. Trotzdem sei der Umgang mit psychischem Stress und Erkrankungen in der Arbeitswelt oft ein Tabuthema. «Viele Menschen zögern, ihre Herausforderungen am Arbeitsplatz zu teilen, aus Angst vor Stigmatisierung oder beruflichen Konsequenzen.» Sowohl er als auch Stephan Melliger halten fest, dass den Führungskräften eine besondere Rolle zukommt. Diese könnten massgeblich zu einer frühzeitigen Erkennung psychischer Erkrankungen, zur Entstigmatisierung Betroffener und zur Schaffung einer gesundheitsfördernden Arbeitsumgebung beitragen.

CAS Stress und Stressmanagement

Stress wurde von der Weltgesundheitsorganisation zu einer der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Im CAS Stress und Stressmanagement erlangen die Teilnehmenden das Wissen und die praktischen Fähigkeiten, um Stress in verschiedenen Lebensbereichen zu erkennen, zu verstehen und effektiv zu bewältigen.

CAS Case Management

Case Management als Fall- und Organisationsmanagement wird sowohl im Gesundheitsbereich als auch in der Sozialen Arbeit angewendet. Der CAS Case Management bereitet auf Anforderungen in unterschiedlichen Kontexten vor. Der Kurs vermittelt unter anderem Kompetenzen, um komplexe, eskalierende Problemsituationen zu strukturieren sowie Konflikte zu erkennen, diese zu analysieren und dabei rollenbezogen zu vermitteln.