Die eigene Selbstwirksamkeit stärken

14. September 2022

Selbstführung kann gerade in diesen unsicheren, volatilen Zeiten eine gute Orientierungshilfe bieten. Nicole Bischof, Professorin für Organisation und Leadership an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, und Karin Schnyder Aslan, Agile Coach bei der AXA Versicherung AG, wissen, wie dieses Self-Leadership-Konzept erfolgreich umgesetzt werden kann.

Von Marion Loher

Unsere Arbeitswelt ist im Wandel. Digitalisierte und remote Arbeitsweisen haben nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Es gibt aber noch weitere Entwicklungen und Trends wie die Globalisierung, Individualisierung, Wissensgesellschaft oder Silver Society, die sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte vor grosse Herausforderungen stellen. «In einer zunehmend komplexen, schnelllebigen, unsicheren und mehrdeutigen Welt – der sogenannten VUCA-Welt – gibt es nicht mehr viel, was Struktur und Orientierung gibt», sagt Nicole Bischof, Professorin für Organisation und Leadership an der OST – Ostschweizer Fachhochschule und Leiterin des CAS New Leadership in Team- und Selbstführung. Daher seien vor allem Führungspersonen gefordert. «Sie müssen sich selbst motivieren können und Strategien entwickeln, um nachhaltige Entscheidungen zu fällen.»

«Positiver Egoismus»

Ein möglicher Navigator in der VUCA-Welt ist gemäss Bischof die Selbstführung. «Self-Leadership ist ein zielorientierter und selbstbeeinflussender Prozess zur Steigerung der persönlichen Effektivität und Leistung.» Doch wie kann Selbstführung gelingen? Um diese Frage zu beantworten, zieht die Professorin ein Modell von Marco Furtner, Professor an der Universität Liechtenstein, heran. «Furtner schlägt für den Wahrnehmungsbereich Motivation natürliche Belohnungsstrategien vor, und für die Kognition sind Strategien wie Selbstanalyse, Selbstzielsetzung und Selbstverbalisierung wichtig.»

«Self-Leadership ist ein zielorientierter und selbstbeeinflussender Prozess zur Steigerung der persönlichen Effektivität und Leistung.»

Prof. Dr. Nicole Bischof, Professorin für Organisation und Leadership, OST – Ostschweizer Fachhochschule

Sich klare, herausfordernde und dennoch realistische Ziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen, sei zwar nichts Neues. Sich aber selbst verstärkt in den Fokus zu rückenBischof nennt dies «positiven Egoismus» – und smarte Ziele zu setzen, würden die wenigsten machen. «Dabei kann dieses Selbstführungsmodell hilfreich sein und insbesondere in Zeiten von grosser Ungewissheit eine gute Orientierungshilfe bieten.» Gleichzeitig könnten weitere Mitarbeitende dafür motiviert und «empowert» werden, indem ihnen Wertschätzung gezeigt wird und sie gefördert werden. Ebenso wichtig ist es, den Mitarbeitenden Dialoge zu ermöglichen, Vision und Sinn der Arbeit zu vermitteln sowie Mittel und Informationen bereitzustellen.

Solch selbstorganisierte Teams kennt die AXA Versicherungen AG bereits seit acht Jahren, wie Karin Schnyder Aslan, Agile Coach bei der AXA, sagt. Damals hatten vor allem in der IT-Abteilung des Unternehmens erste Teams angefangen, agile Methoden in der Projektarbeit anzuwenden. Danach gab es von 2017 bis 2021 ein agiles Transformationsprogramm, und seit diesem Jahr läuft die Etappe «Agile Fitness», in der die bisher gemachten Erfahrungen und gewonnenen Kenntnisse noch vertieft werden, um später dann in die nächste Phase, die Business Agility, hinübergehen zu können.

«Es gibt zum Beispiel Teams, die bei der Personalrekrutierung gemeinsam mit dem People Developer entscheiden, ob der Kandidat oder die Kandidatin ins Team passt.»

Karin Schnyder Aslan, Agile Coach, AXA Versicherung AG.

Die selbstorganisierten Teams, auch Product Teams genannt, bestehen hauptsächlich aus IT- und Business-Spezialistinnen und -Spezialisten. Klassische Teamleiterrollen gibt es im IT-Bereich keine mehr, sondern nur noch agile Führungsrollen: Die Product Owner, die den Teams vorgeben, was gemacht werden soll, und die Scrum Master, die dem Team helfen, den Weg zu finden, das vom Product Owner vorgegebene Thema zu lösen. «Als diese neuen Rollen eingeführt wurden, konnten sich die bisherigen Teamleiterinnen und Teamleiter entscheiden, welche sie übernehmen wollen», erzählt Karin Schnyder Aslan. Nach wie vor gibt es Vorgesetzte – People Developer genannt – welche die disziplinarische Verantwortung haben und den einzelnen Mitarbeitenden für die individuelle Entwicklung oder zur Reflektion zur Seite stehen.

Weniger Hierarchie, mehr Verantwortung für das Team

Ein grosser Teil der Entscheide, die das Team betreffen, wird heute zuerst im Team besprochen. «Wenn jemand beispielsweise eine Ausbildung machen möchte und dabei einen Tag in der Woche am Arbeitsplatz fehlt, holt er oder sie zunächst das Feedback des Teams ein und geht danach zum People Developer.» Was dieser selbst entscheidet oder wie viel Verantwortung er ans Team abgibt, variiert von People Developer zu People Developer und wird etwa mittels Delegation Poker – einem Tool aus Management 3.0 – ausgehandelt. «Es gibt zum Beispiel Teams, die bei der Personalrekrutierung gemeinsam mit dem People Developer entscheiden, ob der Kandidat oder die Kandidatin ins Team passt.» Die Erfahrungen mit selbstorganisierten Teams, die sie bei der AXA bisher gemacht hätten, seien sehr positiv. «Klar, die Einführung stiess nicht bei allen Mitarbeitenden auf Begeisterung», sagt die Coachin. «Aber ich glaube, mittlerweile sind alle, die mit uns diesen Weg gegangen sind, überzeugt vom agilen Zusammenarbeitsmodell. Sie sind motiviert, ihren Beitrag ans Unternehmen zu leisten, und wissen, mit der kollektiven Intelligenz können wir bessere Resultate erreichen.»

Dieser Beitrag basiert auf dem diesjährigen «Update für Personalverantwortliche» an der OBA.