Die Schweiz produziert jährlich rund 80 bis 90 Millionen Tonnen Abfall. Mit durchschnittlich 700 kg pro Person haben die Schweizerinnen und Schweizer eines der weltweit höchsten Abfallaufkommen. Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) wird diese Zahl zukünftig weiter steigen. Doch ist Abfall in der Schweiz problematisch und ist die Abfallvermeidung überhaupt sinnvoll?
«Abfälle zu vermeiden, ist gut für die Umwelt» – die meisten Menschen würden dieser Aussage vermutlich zustimmen. Laut Rainer Bunge, Professor am Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik UMTEC an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, liegt man mit dieser Einschätzung jedoch falsch. Es sei ein Mythos, dass Abfallvermeidung die Umwelt nachhaltig schone.
Verpackte Produkte – weniger Food-Waste
Ein Blick in den Hausmüll reicht aus, um zu erkennen, dass dieser zu einem Grossteil aus Verpackungen besteht. Es liegt nahe, unverpackte Produkte zu kaufen, um diesen Abfall zu vermeiden. Entsorgungsexperte Rainer Bunge erklärt jedoch, dass beispielsweise der Offenverkauf von Lebensmitteln keine gute Idee sei. «Die meisten Lebensmittel produzieren mehr Food-Waste im Offenverkauf. Die Verpackungen schützen die Produkte vor dem Verderben und Verkratzen.» Beim Offenverkauf von Käse wird 5 Prozent schon im Geschäft weggeworfen. Wird der Käse jedoch verpackt verkauft, sind es lediglich 0.14 Prozent. Bei der Gartenkresse sind es ganze 42 Prozent, die im Geschäft verderben, verpackt beträgt der Anteil nur 3.4 Prozent. Für alle anderen verpackten Produkte greift dieselbe Logik. «Das Mobiltelefon kauft niemand verkratzt vom Wühltisch», führt Rainer Bunge aus. «Die Verpackungen haben einen Nutzen. Ökologisch gesehen generiert die Herstellung der Produkte viel mehr Schaden für die Umwelt als die Herstellung und Entsorgung der Verpackungen.» Bei der Entsorgung der Produkte gibt es zudem wesentliche Unterschiede in der Effizienz und Effektivität.
«100-prozentiges Recycling ist nicht nur unbezahlbar teuer, sondern auch ökologischer Unsinn.»
Prof. Dr. Rainer Bunge
Professor am Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik UMTEC an der OST – Ostschweizer Fachhochschule
Wann sich Recycling lohnt und wann nicht
Recycling sei grundsätzlich gut, betont Rainer Bunge. Metallrecycling erbringt beispielsweise einen grossen Umweltnutzen bei geringen Kosten, da die Erlöse für die Recyclingmetalle den Aufwand für das Recycling weitgehend decken. Anders sieht es jedoch beim Kunststoffrecycling aus. «Die Effektivität von einem Jahr Recycling vom weltweit meistverwendeten Kunststoff PE hat den gleichen ökologischen Nutzen, wie wenn man einmal im Jahr auf ein Steak verzichtet», zeigt Rainer Bunge auf. «Es schadet nicht, PE zu recyceln, nur sind die Kosten im Vergleich zum ökologischen Nutzen relativ hoch.»
Jedes Material hat ein anderes wirtschaftliches Optimum bei der Rückgewinnung. Das bedeutet, dass das Recycling ab einem gewissen Punkt teurer ist als die zurückgewonnenen Materialien Wert haben. «Ab einer bestimmten Recyclingrate übersteigt aber vor allem auch der ökologische Aufwand den ökologischen Nutzen. Ab diesem Punkt ist mehr Recycling schlechter für die Umwelt», erklärt er. Kompositwerkstoffe, welche aus verschiedenen Materialien bestehen, lassen sich beispielsweise nur mit sehr hohem finanziellem und ökologischem Aufwand rezyklieren. Ein Beispiel dafür ist die Glühbirne. Laut Rainer Bunge ist das 100-prozentige Recycling darum «nicht nur unbezahlbar teuer, sondern auch ökologischer Unsinn.»
Paradox der Abfallproduktion
Die Schweiz ist zwar Spitzenreiterin in der Abfallproduktion, jedoch kein Sonderfall unter den reichen Staaten. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Bruttoinlandprodukt und der Abfallmenge eines Landes: «Die reichen Staaten produzieren wesentlich mehr Abfall als die armen. Menschen, die doppelt so viel Geld haben, verursachen also doppelt so viel Abfall». Rainer Bunge relativiert jedoch: «Die Länder, die am meisten Abfall produzieren, verursachen mit ihrem Abfall den kleinsten ökologischen Schaden.» Das wirkt kontraintuitiv, doch die Art der Entsorgung macht den entscheidenden Unterschied. «Die reichen Länder können ihre Abfälle recyceln oder verbrennen, was sehr teuer, aber umweltfreundlich ist. Dahingegen deponieren arme Länder ihre Abfälle, was billig, aber sehr umweltschädlich ist», erklärt er. Die Art der Entsorgung ist also aus ökologischer Sicht sehr viel relevanter als die Abfallmenge.
«In der Schweiz ist nicht der Abfall das Problem, sondern der Konsum. Der Grossteil des ökologischen Schadens der konsumierten Produkte in der Schweiz fällt im Herstellungsland an.»
Nicht der Abfall ist das Problem, sondern der Konsum
In der Schweiz macht die Abfallwirtschaft nur 2.5 Prozent des Umwelt-Fussabdruckes aus. Laut Rainer Bunge ist die gezielte Abfallvermeidung in der Schweiz daher sinnlos. Die restlichen 97.5 Prozent des Umwelt-Fussabdruckes sind Konsum-seitig. «In der Schweiz ist nicht der Abfall das Problem, sondern der Konsum. Der Grossteil des ökologischen Schadens der konsumierten Produkte in der Schweiz fällt im Herstellungsland an», verdeutlicht dies der Professor für Umwelt- und Verfahrenstechnik. Pro ausgegebenen Schweizer Franken werden rund 200 g CO2-Emissionen ausgelöst, was einer Autofahrt von 1.5 km entspricht. Konsumverzicht sei jedoch nicht die Lösung, denn «gespartes Geld schädigt die Umwelt nicht weniger, sondern zeitverschoben, da es früher oder später doch wieder für den Konsum ausgegeben wird.»
Trotzdem gibt es individuelle Umweltmassnahmen, die sinnvoll sind, wie weniger Fleisch zu konsumieren, weniger zu heizen oder weniger Auto zu fahren und weniger zu fliegen. In teure Dienstleistungen, anstatt billige Produkte zu investieren, sei ebenfalls ein Ansatz. Ausserdem kann CO2 effizient durch Umweltzertifikate kompensiert werden. «Die Faustregel ist: beim Konsum ansetzen und nicht beim Abfall», schliesst Rainer Bunge.
Dieser Beitrag basiert auf dem Webinar «Der Konsum ist das Problem. Nicht der Abfall. Warum Abfallvermeidung sinnlos ist.» aus der Reihe «Klüger am Abend» der Weiterbildung OST.
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