Netto-Null bis 2050: Darauf zielt das Klimaschutzgesetz ab, das die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger im Juni an der Urne gutgeheissen haben. Inwiefern treibt das JA zu dieser Vorlage den Umbau hin zu einer klimafreundlichen Energieversorgung voran? Wie gelingt es, den künftigen Strombedarf durch erneuerbare Energien zu decken und Stromlücken zu vermeiden? Und wo liegen noch Stolpersteine?
Bis im Jahr 2050 soll die Schweiz CO2-neutral sein. So lautet das Ziel des Klimaschutzgesetzes, zu dem das Stimmvolk am 18. Juni JA gesagt hat. Es basiert hauptsächlich auf Anreizen. Wer sein Haus isoliert oder seine Öl- oder Gasheizung durch eine Wärmepumpe respektive ein anderes klimafreundliches Heizsystem ersetzt, erhält finanzielle Unterstützung. Förderbeiträge gibt es auch für Unternehmen, die in innovative nachhaltige Technologien investieren – etwa Technologien zur Filterung von CO2 aus der Luft. Solarthermie für Produktionsprozesse oder Lastwagen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, sind ebenfalls Beispiele. «Die Nachfrage für die Planung und Umsetzung solcher Projekte wird stark zunehmen», sagt Markus Friedl, Leiter des IET Instituts für Energietechnik an der OST. Durch den Fachkräftemangel seien dem Ausbau jedoch Grenzen gesetzt. «Die OST bildet Ingenieurinnen und Ingenieure aus und leistet einen Beitrag, den Fachkräftemangel zu beheben.»
Was die Nachfrage nach klimafreundlichen Heizsystemen betreffe, so befinde sich diese bereits auf einem sehr hohen Niveau, sagt Daniel Gstöhl, Studienleiter des MAS in Energiesysteme an der OST. «Es ist schon seit Längerem klar, in welche Richtung es geht.» Mit einem zusätzlichen Run auf Wärmepumpen rechnet er deshalb nicht. Die Ankündigung von Bundesrat Albert Rösti, wonach Hausbesitzerinnen und -besitzer erst ab 2025 mit Fördergeldern rechnen können, dürfte gemäss Gstöhl kurzfristig sogar zu einem Negativtrend führen. «Es ist anzunehmen, dass einige bis zu diesem Zeitpunkt abwarten.» Von einem Wärmepumpen-Hersteller habe er erfahren, dass viele Bestellungen auf Eis gelegt worden seien.
«Die Nachfrage nach klimafreundlichen Heizsystemen befindet sich bereits auf sehr hohem Niveau.»
Prof. Dr. Daniel Gstöhl
Studienleiter MAS in Energiesysteme an der OST
Die Wärmepumpe ist und bleibt jedoch der stark nachgefragte Heizstandard. Die Anzahl verkaufter Wärmepumpen steigt seit mehr als fünf Jahren kontinuierlich. Fast 34 000 waren es 2021.
Solarenergie: Viel ungenutztes Potenzial
Derzeit deckt die Schweiz ihren Energiebedarf zu fast zwei Dritteln mit fossilen Energieträgern wie Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas. Diese stammen vollständig aus dem Ausland. Sie erhöhen folglich neben dem Ausstoss an klimaschädlichen Gasen auch die Abhängigkeit von anderen Ländern.
Um das Ziel «Netto-Null bis 2050» und mehr Autonomie zu erreichen, ist eine inländische, klimafreundliche Energiegewinnung unumgänglich. Der Umstieg erfordert jedoch mehr Strom, was Gegnerinnen und Gegner des Klimaschutzgesetzes unter anderem als Argument ins Feld führten. Wie gelingt es, genügend Strom zu produzieren? Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Solarenergie. «Das Potenzial auf bestehenden Gebäuden ist riesig», sagt Markus Friedl. Er verweist auf eine Schätzung des Bundesamtes für Energie, wonach Schweizer Hausdächer- und Fassaden jährlich 67 Terawattstunden Strom produzieren könnten – mehr als die Schweiz derzeit verbraucht.
«Das Potenzial von Solarenergie auf bestehenden Gebäuden ist riesig.»
Prof. Dr. Markus Friedl
Leiter IET Institut für Energietechnik an der OST
Daniel Gstöhl und Markus Friedl sind sich einig, dass in diesem Zusammenhang die Produktion von Solarstrom im Winter wichtig ist. Vertikale Anlagen, zum Beispiel an Fassaden, oder hochalpine Projekte wie die Anlage am Muttsee seien diesbezüglich vorteilhaft. Auch landwirtschaftliche Flächen – Stichwort Agro-Photovoltaik – sowie Parkplätze, Kläranlagen, Strassen oder Lärmschutzwände könnten in Zukunft vermehrt mit Solarpanels bestückt werden.
Windkraft: Gute Ergänzung, die oft auf Gegenwind stösst
Eine gute Ergänzung zur Solarenergie bietet gemäss den beiden Experten die Windkraft. Allerdings sei die Akzeptanz dieser gegenüber in der dicht besiedelten Schweiz beschränkt, sagt Markus Friedl. Auch Daniel Gstöhl betont: «Windkraft hat historisch gesehen einen schweren Stand hierzulande.» In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Bewilligungsverfahren für entsprechende Anlagen oftmals viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern. Dazu kommt, dass geplante Projekte durch Einsprachen zusätzlich blockiert werden. Der Nationalrat hat sich nun aber im März dieses Jahres mit deutlicher Mehrheit für die Windenergieoffensive ausgesprochen. Damit wurde der Weg für eine schnelle Realisierung bereits fortgeschrittener Windkraftprojekte geebnet.
Energiespeicher: Essenziell für zeitversetzte Nutzung
Windkraftanlagen könnten insbesondere in der kalten Jahreszeit für Entlastung sorgen, da sie im Winterhalbjahr mehr Energie produzieren als im Sommer. Genau umgekehrt verhält es sich mit Photovoltaik-Anlagen. Diese generieren den höchsten Ertrag in der warmen und sonnigen Jahreszeit. Die Herausforderung besteht darin, die im Frühling und Sommer überschüssig produzierte Energie einzuspeichern. «Energiespeicher sind essenziell, da Produktion und Verbrauch oft zeitversetzt stattfinden», so Daniel Gstöhl. Für die kurzfristige Speicherung hätten sich Batterien etabliert. «Die entsprechende Technologie wird sich noch weiterentwickeln». Zur saisonalen Speicherung – die Speicherung vom Sommer in den Winter – stünden Wärmespeicher oder Power-to-X-Anlagen zur Verfügung, sagt Markus Friedl. Letztere bieten Möglichkeiten, synthetische Energie herzustellen wie zum Beispiel Wasserstoff. Das IET hat in den letzten Jahren eine Forschungsplattform für Power-to-X-Technologien aufgebaut und bietet zusammen mit dem SVGW das Seminar «Wasserstoff – aktuelles Wissen aus Praxis und Forschung» an. Die Power-to-X-Technologie sei zwar mit Verlusten behaftet, so Markus Friedl, «aber die daraus gewonnenen Energieträger können wie Biomasse gut eingespeichert und im Winter beispielsweise effizient in Blockheizkraftwerken verwendet werden.»
Energiesuffizienz: Wichtiger Punkt in der Debatte
Bis zur vollständigen Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger ist es noch ein weiter Weg. Für Markus Friedl sind die Hürden nicht technologischer Natur. «Hürden existieren vor allem in unseren Köpfen und in gesetzlichen Bestimmungen», sagt er. Ein Beispiel dafür sei, dass erneuerbares Methanol heute nicht als Energieträger, sondern als Chemikalie gelte. «Deshalb dürfen nur 2000 Kilo davon im gleichen Tank gelagert werden. Benzin und Diesel sind etwa gleich gefährlich. Dort sind aber Tanks mit einem Fassungsvermögen von 500 000 Kilo erlaubt.» Es gebe noch weitere Hürden, die sich in der aktuellen Gesetzgebung versteckten und es gelte, Zuständigkeiten zu klären, so Markus Friedl.
«Es braucht den Willen der Politik und Gesellschaft», betont Daniel Gstöhl. In der Diskussion um eine klimafreundliche Zukunft vermisst er das Thema Energiesuffizienz. Damit gemeint ist eine nachhaltige Begrenzung des Energiebedarfs. Denn die Komfortansprüche steigen stetig. «Es ist notwendig, diesen Trend zu brechen», sagt Daniel Gstöhl. «Wir kommen nicht weiter, wenn wir auf der einen Seite immer effizientere Häuser bauen, aber gleichzeitig immer mehr Wohnfläche beanspruchen und dadurch wieder mehr Energie verbrauchen.»
Weiterbildungen im Bereich Energie und Umwelt
Die Energiewende ist in vollem Gange. Sie erfordert von Fachkräften ein fundiertes Wissen und spezifische Kompetenzen. Mit einer Vielzahl an Weiterbildungen im Bereich Energie und Umwelt vermittelt die OST – Ostschweizer Fachhochschule ein umfassendes Know-how über Energiesysteme und
deren gegenseitige Wechselwirkung. Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz kommt eine besondere Bedeutung zu.
Wärmepumpen und ihr Beitrag zur Dekarbonisierung
Die Wärmepumpe ist heutzutage ein Heizungsstandard. Sie hat sich gegen Öl- und Gasheizungen durchgesetzt. Wärmepumpen werden auch in industriellen Anwendungen die zentrale Rolle in der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung spielen. Doch wo gibt es Verbesserungspotenzial bei bestehenden Anlagen? Was hat es mit natürlichen Kältemitteln auf sich? Und wie sehen Systeme der Zukunft aus? Mit diesen und anderen Fragen setzen sich die Teilnehmenden im Zertifikatskurs (CAS) Wärmepumpen/Kältetechnik auseinander. Die Teilnehmenden lernen, ausgehend von den thermodynamischen Grundlagen, komplexe Wärmepumpen und Kältetechnikanlagen auszulegen und in ein Gesamtsystem zu integrieren.
Seminar zum Thema Wasserstoff
Wasserstoff ermöglicht, erneuerbare Energie saisonal zu speichern und bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Das Seminar «Wasserstoff – Aktuelles Wissen aus Praxis und Forschung» vermittelt wertvolles Know-how zu diesem chemischen Energieträger. Die Teilnehmenden erfahren Näheres zur Rolle von Wasserstoff im aktuellen und im zukünftigen Energiesystem. Zudem befassen sie sich mit Produktions- und Speichertechnologien sowie mit dem Transport und der Verwendung dieses Energieträgers. Auch auf Themen wie Gesetzgebung und Bewilligungsverfahren geht das Seminar ein.